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Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)

Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)

Titel: Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)
Autoren: Jürgen Kaube
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tritt das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft. Nach dem Ende der Monarchie im November 1918 wird mancherorts eine Räterepublik, in Berlin die parlamentarische Demokratie ausgerufen, und im Jahr darauf verabschieden die Abgeordneten der Nationalversammlung im beschaulichen Weimar eine neue Verfassung.
    Um die Zeit zu verstehen, in der sich dieser epochale Wandel zutrug, ist Max Webers Leben und Werk schon deshalb aufschlussreich, weil er sich mit fast allen diesen Ereignissen und Veränderungen befasst hat. An den Diskussionen über die Industrialisierung Deutschlands beteiligt er sich ebenso wie an den Kontroversen über die Folgen der Politik Bismarcks. Weber denkt über die Voraussetzungen einer deutschen Weltmachtstellung nach und engagiert sich zugleich auf Seiten evangelischer Kreise in der «sozialen Frage». Er überlegt, ob Börsen nur der Finanzspekulation dienen oder eine Funktion für moderne Geldwirtschaften haben, nimmt am «Kulturkampf» zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche teil (und schlägt sich auf die protestantische Seite), er fordert eine imperialistische Politik Deutschlands nach außen und eine liberale nach innen. Den Aufstieg des Sozialismus kommentiert er ebenso wie die Russischen Revolutionen. Und die «erotische Bewegung», den Kampf um Frauenrechte, die Rassenlehre, die Massenmedien.
    Unter den Wissenschaftlern seiner Zeit ragt Max Weber dadurch hervor, dass er selbst – fast möchte man sagen: manisch – an einer Beschreibung dieser Gesellschaft gearbeitet hat, die während seiner Lebenszeit entstanden war. Dabei durchlief Weber eine ganze Reihe von Kulturen, die zu jener Zeit gehören. Er stammt aus nationalliberaler Familie, übt während des Studiums den burschenschaftlichen Habitus, ist aggressiver Chauvinist und pflegt zugleich eine Hassliebe zum «typisch Deutschen». Mit einem beispiellosen Arbeitswillen wühlt er sich in die Forschungsliteratur hinein und lastet sich bei seinen Studien ein Pensum auf, das unvorstellbar ist. Er steht in Kontakt mit jeder bedeutenden politischen und intellektuellen Bewegung seiner Epoche sowie ihren Repräsentanten, erleidet, sexuell gequält und überarbeitet, alle Formen der «Nervenkrankheit», die um 1900 zur Zeitdiagnose gehörte, ist als Rekonvaleszent jahrelang eine Art europäischer und transatlantischer Gesellschaftstourist. Schon früh beschäftigt ihn, der «Literaten» verachtet, die literarische Avantgarde seiner Zeit, unterhält er Beziehungen zur Boheme. Nach dem Ersten Weltkrieg gehört er für viele zu den Hoffnungsträgern der Weimarer Republik, an deren Verfassungsberatungen er ebenso teilnimmt wie an den Friedensverhandlungen in Versailles.
    Weber ist der bekannteste deutsche Sozialwissenschaftler seiner Zeit und zugleich einer, der zu Lebzeiten nur zwei Bücher, seine Dissertation und seine Habilitation veröffentlicht hat. Sein Hauptwerk, «Wirtschaft und Gesellschaft», von dem manche bezweifeln, dass er es als Hauptwerk plante, erscheint erst nach dem Tod. Fast alles, was er gesagt hat, wird bewundert und bezweifelt: Seine Schrift «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» provoziert die Gelehrten seit ihrem Erscheinen zu endlosen Kontroversen. Max Weber ist der typische deutsche Gelehrte, was seinen Fleiß, seinen Stil und seine Fußnoten angeht – und ein «Wutbürger», stets geladen gegen seine Zeitgenossen, streitsüchtig, herrisch.
    Es lohnt, vom Leben und von den Gedanken Max Webers zu erzählen, weil es sich um ein bewegtes, ein buchstäblich merkwürdiges Leben handelte und um Gedanken, mit denen er auf Fragen antwortete, die uns nach wie vor beschäftigen. «Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen – als sollte die Hauptsache erst kommen.» [1] Das notierte Webers Kollege Georg Simmel im Jahr 1900 mitten im Übergang zwischen den beiden Epochen, in denen er und Weber lebten, als viele glaubten, es könne nicht einfach so weitergehen wie im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts. Es erscheint im Rückblick als ein ebenso beklemmendes wie nachvollziehbares Gefühl, aber auch als eine Art selbsterfüllende Prophezeiung – auf manche seiner Zeitgenossen warteten zwei Weltkriege und zwei Weltuntergänge. Die «heroische Moderne» (Heinz Dieter Kittsteiner) machte sich bemerkbar, in der Intellektuelle und Politiker sich zutrauten, die Weltgeschichte, von der sie meinten, dass sie sich
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