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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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gefaßt hatte.
    8.45 Uhr gab es zu meiner Überraschung eine Pause. So etwas hätte ich in diesen vergitterten Räumlichkeiten garnicht zu hoffen gewagt. Aber vielleicht stand dem Vernehmer diese Unterbrechung gewerkschaftlich zu, und ich profitierte davon. Meine Verwunderung wurde noch größer, als jemand mit einem Tablett ins Zimmer kam. Darauf befanden sich ein Kännchen Malzkaffee und ein Marmeladenbrot.
    Nun war ich in der Dimitroffstraße Frühstücksgast der Staatssicherheit.
    Ich hatte vor lauter Aufregung weder Hunger noch Durst gespürt, genoß aber den Kaffee als etwas ganz Besonderes. 9.30 Uhr ging es weiter. Für kurze Zeit saß ein älterer hoher Offizier der Staatssicherheit hinter dem Schreibtisch: »Sie haben doch studiert! Sie müssen doch wissen, was Klassenkampf ist, wo die Feinde stehen!« Dann ging die Berg-und-Tal-Fahrt des Verhörs weiter. Und immer stärker manifestierte sich in meinem Kopf: Ich muß hier raus. Irgendwann war dann von »Wiedergutmachung« die Rede, vom »Kampf gegen die Feinde des Sozialismus«.
    Ich wußte, was damit gemeint war, und sagte mir: Du spielst jetzt das Spiel mit, und wenn du draußen bist, schaffst du sofort alles Belastende weg und sagst dann nein.
    Ich würde keine »Feinde des Sozialismus« kennen.
    Irgendwann begann der Offizier das Vernehmungsprotokoll zu schreiben, in akkurater Schrift, immer fast bis in die Mitte eingerückt, unterstrichen die beiden Worte »Frage:« und »Antwort:«. Als er fertig war, mußte ich Seite für Seite lesen und unterschreiben. Ich wagte natürlich nicht, ihn auf die etwas verschrobene Wiedergabe meiner Sätze hinzuweisen oder gar Korrekturen zu verlangen.
    Als ich 1999 das Protokoll las, freute ich mich im nachhinein, daß ich in jenem Verhör bei meiner Überzeugung geblieben war »… daß ich mit den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, der ›Besetzung‹ der ČSSR, nicht einverstanden bin, weil es meiner Auffassung nach eine innere Angelegenheit der ČSSR ist, den nationalen Weg zum Sozialismus zu finden.«
    Mit meiner »Tatwaffe« wurde ich auch konfrontiert.
    »Frage: Ihnen wird ein Stück weiße Kreide in der Größe von ca. 5 cm vorgelegt – Ist Ihnen diese Kreide bekannt?
    Antwort: Das mir vorgelegte Stück weiße Kreide ist mir bekannt. Ich benutzte es, um die genannten Losungen an die Wände zu schreiben.«
    Mein Bekannter hatte mir die Kreide in der Messehof-Passage aus der Hand genommen, um selbst etwas an die Wand zu schreiben. Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil wir jenen Mann am Ausgang zum Neumarkt entdeckt hatten und sofort wegliefen.
    Im Nachbarraum wurde inzwischen auch ein Protokoll angefertigt.
    »Frage: Sie wurden am 28.8.68 gegen 0.15 Uhr wegen des dringenden Verdachts der Anbringung von Losungen von der Deutschen Volkspolizei vorläufig festgenommen. Was haben Sie dazu zu sagen?
    Antwort: Es stimmt, daß ich am 28.8.1968 gegen 0.15 Uhr festgenommen wurde wegen des Verdachts des Anschmierens von Losungen. Ich möchte dazu jedoch sagen, daß ich keine Losungen öffentlich in der Stadt Leipzig geschrieben habe, jedoch zugegen war, als der mir seit 1966 bekannte
    Lange, Bernd-Lutz
    wh. Leipzig, Hans-Driesch-Str. 44
    zwei mir nicht bekannte Losungen an zwei verschiedenen Orten im Zentrum der Stadt Leipzig anschrieb und ich ihm dann am weiteren Anbringen von Losungen hinderte … Nachdem Lange die beiden mir inhaltlich nicht bekannten Losungen angeschrieben hatte nahm ich diesem die Kreide weg, um weitere Losungen zu verhindern. Die bei mir sichergestellte weise Kreide ist die von Lange beim Anbringen der Losungen verwendete. Obwohl ich Lange gewarnt habe, derartige Losungen anzuschreiben und er nicht auf mich hörte, entschloß ich mich deshalb die Kreide wegzunehmen, was ich auch tat.«
    Das alles erfuhr ich 1999. Auch daß mein Bekannter, der mit mir diese Aktion plante, schon 1967 eine Verpflichtungals IM Kretschmann unterschrieben hatte. Sie kennen ihn aus dem Bericht über die Motorbootlesung.
    Ich traf ihn nach meiner Entlassung zufällig auf dem Weg zu meiner Wohnung, sagte ihm, daß ich für die Stasi arbeiten soll, ich würde das aber nicht machen. 1999 las ich, daß er diesen Satz gleich weitergegeben hatte. Damit hatte ich mich schon dekonspiriert.
    Ich fuhr mit der Bahn in meine Studentenbude. Sie hatten keine Hausdurchsuchung gemacht. Ein Wunder! Hing es damit zusammen, daß ich nicht allein das Zimmer bewohnte? Daß ich zur Untermiete wohnte, hätte sie wohl nicht abgehalten. Reichte
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