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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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meine »Tat« gar nicht für eine Hausdurchsuchung?
    Wie auch immer – ich war erst einmal ein Glückskind. Ich schaffte alle belastenden Manuskripte, Bücher und Zeitschriften aus dem Haus. Manches warf ich weg, manches brachte ich zu einer guten Bekannten nach Zwickau; dort entsorgte ich ebenfalls alles, was irgendeinen Verdacht hätte erregen können. Meiner Mutter erzählte ich von der ganzen Sache natürlich nichts. Bald darauf, im September, begann meine Arbeit im LKG , im Leipziger Kommissionsund Großbuchhandel. Monate vergingen. Ich lebte immer in der Angst: irgendwann werden jene Leute sich melden, und hoffte gleichzeitig, daß sie mich vielleicht doch in Ruhe ließen. Es war mir aber klar, daß dort niemand vergessen würde. Immerhin – das Jahr verging, ohne daß ich etwas hörte. Im Januar erhielt ich einen Anruf, ich wurde zu einem Treffen bestellt. Um eine bestimmte Zeit sollte ich mich Dimitroff-, Ecke Harkortstraße aufhalten. Der Anrufer käme auf mich zu, würde mir unmerklich zunicken, und ich sollte ihm dann hinterhergehen. Diesem schrecklichen Termin, das war mir klar, konnte ich erst einmal nicht ausweichen.
    Mit einem fürchterlichen Gefühl im ganzen Körper stand ich an der besagten Ecke. Pünktlich näherte sich ein Mann mit unbewegtem Gesicht, nickte mir flüchtig zu, und ich stapfte hinter ihm her. Kurioserweise verkörperteer das Klischee eines Stasimannes. Im Justizgebäude lief er die Treppen hoch, einen Gang entlang, irgendwo machte er vor einer Tür halt, schloß sie auf, und wir befanden uns in einem nüchternen, karg möblierten Raum. Als er die Tür hinter sich schloß, sagte er zu mir: »Ich werde Sie Horst nennen.«
    Ich wußte überhaupt nicht, was er meinte. Warum wollte er mich »Horst« nennen?
    Ich hatte ja keine Ahnung, daß alle Stasi-Spitzel einen Tarnnamen bekamen. Nun sagte ich ihm, daß ich mir die ganze Sache seit meiner Verhaftung noch einmal gründlich überlegt hätte und daß ich aus Gewissensgründen als Mitarbeiter nicht in Frage käme. Es wäre mir unmöglich, Spitzeldienste zu leisten. Dabei berief ich mich vor allem auf meine christliche Lebenseinstellung.
    Der Mann erklärte mir, daß dies kein Hinderungsgrund wäre. Es würden doch eine ganze Reihe von Pfarrern mit dem MfS zusammenarbeiten.
    »Der Mann lügt«, ging es mir durch den Kopf. Ich dachte an meinen Bruder und an andere Pfarrer, die ich kannte und schätzte. Nie im Leben würden die mit der Stasi gemeinsame Sache machen. Ich habe ihm diese Aussage einfach nicht geglaubt. Ich blieb aber bei meiner Meinung: Seit dem Verhör wäre mir klargeworden, daß ich solche Dienste mit meiner Lebenseinstellung nicht vereinbaren könnte. Er versuchte mich wieder unter Druck zu setzen und machte mich auf meine strafbaren Handlungen aufmerksam. Ich blieb dabei. Schließlich sollte ich mir die Sache noch einmal überlegen. Ich würde doch als Buchhändler bestimmt auf die Buchmesse gehen. Ich sollte ihm sagen, ob ich Bekannte an den Ständen der West-Verlage getroffen hätte. Sofort beschloß ich, daß ich natürlich niemanden treffen würde. Während der Messe bekam ich neuerlich einen Anruf. Dieses Mal verabredete er sich mit mir auf dem Dimitroff-Platz. In einem Auto. Neben ihm saß ein weiterer Mitarbeiter der Staatssicherheit. Ich sagte, daß ich an den Messeständen niemanden getroffen hätte, denich kenne. Nach einer kurzen Pause fragte er mich, ob mir sonst irgend etwas aufgefallen wäre. Mir war nichts aufgefallen. Dann sagte er, ich sollte bis zum nächsten Treffen eine Liste mit den Namen von allen Leuten anfertigen, die ich aus dem Café Corso kennen würde.
    Daraufhin sagte ich gleich zu ihm: »Da kenne ich keine Feinde des Sozialismus.«
    Ich merkte, wie ihn diese Antwort verblüffte. Dabei hatte ich mich lediglich an eine Formulierung meines Vernehmers gehalten: Es gehe um »den Kampf gegen die Feinde des Sozialismus«. Er schwieg und nannte mir einen neuen Termin. Den verschob er später und sagte, daß ich von ihm hören würde. Wochen und Monate lebte ich in Angst, daß man mich wieder verhaften würde. Durch die ständige Aufregung stellten sich Magenbeschwerden ein und Sodbrennen, das mich bis dahin noch nie gequält hatte. Es kam aber nie wieder ein Anruf. Nur in meinen Träumen tauchte über die Jahre die Staatssicherheit immer wieder auf. Der Traum war stets nahezu derselbe. Sie kamen in meine Wohnung, oder ich hörte sie einfach meine Tür aufschließen. Sie kamen bekanntlich überall
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