Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
›wie der redet!‹), so feiern wir das. Wir haben eine Kapelle, die sonst den sonntäglichen Predigten dient, an den Festabenden jedoch werden Tische aufgeschlagen, Hammen, wie sie hier sagen, und Härdöpfelsalat wird aufgestellt, die Musik spielt, und unsere Patienten tanzen miteinander, Männlein und Weiblein, die Pfleger und Pflegerinnen helfen mit, der Herr Direktor hält eine Rede, es gibt Tee, und erotische Spannungen werden abreagiert… Jawohl:… Gestern, am 1. September, haben wir also die Sichlete gefeiert… Wir Honoratioren – das heißt: der Direktor, der Herr Verwalter samt Frau, der Dr. Laduner samt Frau, der Ökonom ohne Frau und die andern Ärzte, wir saßen alle auf der Bühne – denn eine Bühne hat die Kapelle auch – und sahen uns den Tanz an. Der Patient Pieterlen war auch anwesend, er sorgte für Tanzmusik, denn er versteht es, der Handharpfe Walzer und Tangos zu entlocken. Um zehn Uhr trat der Jutzeler…«
    »Wer ist der Jutzeler?« fragte Studer und zog dabei sein Notizbuch. »Ihr müßt schon entschuldigen, Herr Doktor, aber mit meinem Namensgedächtnis ist es nicht weit her, und so muß ich mir Notizen machen…«
    »Ge-wiß!« sagte Dr. Laduner, warf einen ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr und gähnte. Frau Laduner begann den Tisch abzuräumen.
    »Wir haben also«, sagte Studer bedächtig und wußte ganz gut, daß er ein wenig Theater spielte, aber das schien ihm gerade günstig in diesem Augenblick. »Wir haben also als handelnde Personen:
    Borstli Ulrich, Direktor – verschwunden. Pieterlen… Wie heißt der Pieterlen mit Vornamen?«
    »Peter, oder Pierre, wenn Sie lieber wollen, er stammt ursprünglich aus Biel«, antwortete Dr. Laduner geduldig.
    »Pieterlen Peter, Patient, entwichen…« diktierte sich Studer langsam und schrieb nach.
    »Laduner Ernst, Dr. med., II. Arzt, stellvertretender Direktor!«
    »Den brauch ich nicht aufzuschreiben, den kenn ich«, sagte Studer trocken und ignorierte die versteckte Bosheit. »Aber dann haben wir den Nachtwärter.«
    Und Studer schrieb:
    »Bohnenblust Werner, Nachtwärter auf B, Wachsaal.«
    »Und«, sagte Laduner, »notieren Sie noch:
    »Jutzeler Max, Abteilungspfleger, wir sagen kurz Abteiliger, auf B.«
    »Was heißt der Buchstabe B?«
    »B ist die Beobachtungsabteilung. Dorthin kommen alle Aufnahmen, manche Fälle lassen wir aber auch Jahre dort. Es kommt darauf an. R ist die Abteilung für ruhige Patienten, K die Abteilung für körperlich Kranke, dann sind noch die beiden unruhigen Abteilungen da: U 1 und U 2. U 2 ist der Zellenbau. Es ist leicht zu merken… Nach den Anfangsbuchstaben… Übrigens, der Abteiliger Jutzeler wird Ihnen gefallen, einer meiner tüchtigsten Leute… Was sonst an Pflegern herumläuft… Nicht einmal anständig organisieren kann man die Bande!«
    ›Organisieren?‹ dachte Studer. ›Was hat der alte Direktor zum Organisieren gemeint?‹ Aber er schwieg und fragte nur, während er die Spitze seines Bleistiftes über dem Notizbuch schweben ließ:
    »Und was ist eigentlich mit Pieterlen?«
    »Pieterlen?« wiederholte Dr. Laduner, und das Lächeln verschwand von seinem Mund. »Über Pieterlen will ich Ihnen heute abend Auskunft geben. Pieterlen… Um über Pieterlen Auskunft zu geben, braucht es Zeit. Denn Pieterlen, das war kein Direktor, das war kein Pfleger, das war kein x-beliebiger Mensch. Pieterlen, das war ein Demonstrationsobjekt…«
    Es fiel Studer auf, daß Dr. Laduner die Mitvergangenheit brauchte. ›Pieterlen war…‹ So, wie man sonst nur von einem Toten spricht… Aber er schwieg. Der Arzt gab sich einen Ruck, stand auf, streckte sich und wandte sich dann zu seiner Frau:
    »Ist der Chaschperli schon in die Schule?«
    – Ja, er sei schon fort; er habe in der Küche gegessen.
    »Der Chaschperli, das ist mein siebenjähriger Sohn, wenn Sie das noch notieren wollen, Studer«, sagte Dr. Laduner mit seinem steifen Lächeln. »Übrigens muß ich jetzt zum Rapport, Sie können mit mir hinunterkommen und das Büro ansehen… Das Direktionsbüro… Den Tatort, wenn Sie lieber wollen. Obwohl wir ja überhaupt noch nicht wissen, ob eine Tat getätigt worden ist.«
    An der Gangtüre gab es noch einen Zusammenstoß. Ein junger Mann stand im Stiegenhaus und wollte unbedingt mit Dr. Laduner sprechen.
    »Später, Caplaun, ich habe jetzt keine Zeit. Warten Sie im Salon. Ich werde zwischen Rapport und Visite mit Ihnen sprechen…«
    Und Laduner begann die Treppe hinunterzuspringen, er nahm drei Stufen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher