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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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nach Rosi Starks Geldscheinen ausstreckte. Der Apparat verstummt in dem Augenblick, als ihre Hand den Hörer ergreift. Es ist immer so, und natürlich hat sie vergessen, den Anrufbeantworter einzuschalten. Scheiße, murmelt Anna und beginnt, die Welt um sich wahrzunehmen. Sie steht in ihrem Büro, und dieser Gummibaum ist das abscheulichste Ding, das sie je gesehen hat. Die Vormieter hatten ihn zurückgelassen, und sie hat sich nie aufraffen können, das Monster zu entsorgen. Also hat sie versucht, ihn lieb zu gewinnen und als Hutständer zu benutzen. Marlowe-Hüte auf Gummibaum. Sie ist Privatdetektivin, einen Tag entfernt von der Mitte des Lebens, die in Wirklichkeit das letzte Viertel ankündigt. Jeder Tag zählt, doch das begreift man erst, wenn es zu spät ist.
    Es ist die Zeit, in der Vampire in ihre Särge steigen. Kurz vor Morgengrauen, nicht mehr dunkel und noch nicht hell, die fahle Zeit, die sie immer gehasst hat, wenn sie wach und allein war.
    Oben bei Fjodor schläft Joy, Lily ist bei Daniel untergebracht, und Harry verwest vor sich hin. Rafael hat sich feige davongemacht, und Sibylle ist schwanger. Der Bulle wollte ihr nicht sagen, was er mit Vorsprung gemeint hatte. Er ging, ohne ihre Antwort abzuwarten. Orson Welles oder der Dritte Mann oder einfach nur ein Bulle, der sich mit Worten wichtig macht. Nachdem er weg war, hat sie sich einen Whisky eingeschenkt, eine Flasche Wasser getrunken, sich auf die Couch gelegt, geraucht, über den rätselhaften Polizisten nachgedacht und auf Fjodors Anruf gewartet. Eines Tages wird sie über der Zigarette einschlafen und sterben.
    Anna wählt Fjodors Nummer und wartet, doch niemand hebt ab. Sie schlafen noch. Sie sind tot. Es hat zu viele Tote gegeben, und Anna fühlt sich diesem Morgengrauen nicht gewachsen. Sie sollte hochgehen und bei Fjodor klingeln. Oder sich nochmals auf die Couch legen… und wieder läutet das Telefon, und sie greift rechtzeitig zu…
    Sibylles Stimme klingt sehr wach. Sie sagt: »Stehst du oder liegst du?«
    »Irgendetwas dazwischen. Sag mir nichts, das mich umwirft.«
    »Lily ist verschwunden. Daniel hat mich eben angerufen. Er hat ihr irgendwas gegeben und sie ins Bett gelegt und… na ja, sie wird abgehauen sein. Der Idiot hat die Tür nicht versperrt. Es tut mir so leid, Anna… Anna? Bist du noch da?«
    Das Pflaster ist blutrot. Anna hat ihren Zeh vergessen, und jetzt fühlt sie nichts mehr. Keinen Schmerz. »Ich stehe noch, und es war richtig, dass er Lily nicht eingesperrt hat. Vielleicht geht sie nur spazieren und kommt zurück?«
    »Und bringt unterwegs ein paar Leute um… du hast vielleicht Nerven. Daniel ist jetzt wütend auf mich, weil ich ihn in diese Sache reingezogen habe. Nein, seine Stimme zitterte vor Angst. Wir müssen ihn da raushalten.«
    Raushalten ist ein Wort, das Anna nicht mag. »Natürlich tun wir das«, sagt sie sanft. »Es ist alles meine Schuld. Ich hätte Lily nicht irgendwo deponieren dürfen. Sie ist mein Problem.«
    Sibylles Stimme gewinnt an Schärfe. »Nein, ist sie nicht. Du tust so, als ob sie deine Tochter wäre. Du hast sie vor ein paar Tagen zufällig getroffen, sie hat zwei Leute umgebracht, und wenn sie krank ist, muss sie… na, du weißt schon. Klapsmühle. Oder ist dir etwas Besseres eingefallen?«
    Anna hält den Hörer ein Stück vom Ohr entfernt. Belehrende Töne sind ihr ein Gräuel, seit sie zur Schule gegangen ist. Dass Sibylle mit dem, was sie sagt, Recht hat, steht auf einem anderen Blatt. »Nein, ich bin nicht klüger, nur müde und verkatert. Außerdem zählt Behinderung der Justiz zu meinen schönsten Hobbys. Und ich denke mir, dass alles, was geschieht, richtig sein könnte.«
    »Wie meinst du das?«
    Anna versucht verständlich zu machen, was sie selbst nicht ganz versteht. »Lily war nie so ganz von dieser Welt. Und das, was von ihr präsent war, wurde gnadenlos kaputtgemacht. Sie hat zwei Leute getötet, weil sie krank vor Liebe war. Liebeskranke wissen nicht, was sie tun… klinge ich wie ein Psychiater?«
    »Unterste Schublade«, erwidert Sibylle. Sie ist eine beste Freundin und manchmal ein grässliches Weib.
    Anna träumt: »Vielleicht hat sie sich aufgelöst… ist einfach verschwunden. Wie im Märchen, weißt du.«
    Sibylle schnauft am anderen Ende der Leitung: »Du hast sie nicht alle. Aber immerhin wäre eines deiner Probleme gelöst, wenn sie nicht mehr auftaucht. Was macht das andere?«
    »Liegt in Fjodors Bett und schläft.«
    »Wir sollten nach Italien ziehen, bevor

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