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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige
Autoren: Robert Misik
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Kapitalismus den Eigensinn der Subjekte noch für sich produktiv zu machen versteht, so gilt doch auch umgekehrt, daß er diesen Eigensinn auf immer erweiterter Grundlage produziert. Der Kapitalismus scheitert zwar nicht, wie Marx dachte, weil er die Kreativitäten, die er zu wecken vermag, nicht zu nützen verstünde, aber er schafft, gerade weil er sie zu wecken, zu nützen, zu hegen und zu pflegen versteht, ein emanzipatorisches Potential – nicht mehr in Form der »Einheit der Arbeiterklasse« zwar, wie sie die Alten organisierten, sondern in Gestalt des Eigensinns der Vielen. Eine Vielzahl von Menschen, die gewiß nicht viel vereint, die aber doch eine Vorstellung von »Erfolg« haben, welche sich simplen pekuniären Rationalitäten entzieht, von »Würde«, die von Selbstbestimmung träumt; und dies längst nicht mehr nur in den Wohlstands-Metropolen, sondern auf globaler Grundlage. Träume (bzw., wo sie nicht einlösbar sind, ein Unbehagen), die wohlgemerkt nicht von Träumern ersonnen oder von Theoretikern eines Radical Chic verbreitet werden (das vielleicht auch), sondern die im eigentlichen Sinn von den Verhältnissen selbst geschaffen werden. Die innere Dynamik des Kapitalismus schafft die Voraussetzung jener Ideen von Autonomie, welche sich an den Realitäten von Produktion, Organisation, Kapitalverhältnis und Herrschaftsstrukturen immer wieder brechen. Mit vielfachen Ergebnissen: Frustrationen, gescheiterten Rebellionen und gebeugten Existenzen, aber auch spielerischen Erfindungen neuer Lebenszusammenhänge |139| – durch die Jungen, die »ihr Ding« machen –, Verweigerungsversuchen, Ich-AGs und Lebenskünstlern. Dieser Kapitalismus ist ein Theater, eine Versuchsanordnung, mit der schönen Eigenart, daß die Versuche, die auf dieser Bühne gemacht werden, bisweilen scheitern und dennoch erfolgreich sein können. Die materielle Bewegung »macht« die Subjekte und vermag sie dennoch nicht völlig widerspruchsfrei an sich anzuschließen. Sie produziert, im Gegenteil, die Widersprüche immer aufs neue. Wie ein unausrottbarer Kern sitzt das emanzipatorische Potential in dem paradoxen Raum, den dieser Kapitalismus aufspannt. Über diesen Kapitalismus des Informationszeitalters und die Überraschungen, die er parat hält, hat uns, wie hoffentlich für den Leser nachvollziehbar gezeigt wurde, der alte Meister des »mit den Verhältnissen gegen die Verhältnisse Denkens«, Karl Marx, viel zu sagen.

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    |141| ANHANG
    Leseempfehlung
    Man stelle sich vor, wir versuchten eine Auswahl der wichtigsten, ja nur der allerwichtigsten Texte von Karl Marx herauszugeben: Schwer täten wir uns, sie zwischen zwei Buchdeckel zu zwängen: Die
Pariser Manuskripte
müßten rein, ein paar Passagen aus der »Deutschen Ideologie« wären unvermeidbar, das gesamte »Manifest« ein Muß, Marx’ aktuelle Publizistik aus dem 1848 Jahr und den Jahren danach sowieso, das berühmte Vorwort aus »Zur Kritik der Politischen Ökonomie« aus dem Jahr 1859 hätte einen Ehrenplatz. Aus den »Grundrissen« müßten ein paar wichtige Passagen unbedingt aufgenommen werden und selbstverständlich aus dem »Kapital«: das Kapitel über den »Fetischcharakter der Arbeit«, zumindest, natürlich aber auch so wesentliche Stellen wie die über »Maschinerie und große Industrie« oder den »Akkumulationsprozeß des Kapitals«.
    Dafür fehlt hier natürlich der Platz. Darum sollen zwei vollkommen unterschiedliche Schriften von Karl Marx präsentiert werden.
    Zunächst einer der wichtigsten Texte des jungen Marx – geschrieben um die Jahreswende 1843/44 im Pariser Exil, veröffentlicht in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« 1844: »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. |142| Einleitung«. Ein furioser, drängender Text. Ein Dutzend Seiten, die längst ihren fixen Platz in der Philosophiegeschichte haben.
    Der zweite Text, viel weniger beachtet, zu Marx’ Lebzeiten nicht veröffentlicht, knapp zwei Jahrzehnte nach dem feurigen Jugendpamphlet geschrieben, Teil des Konvoluts »Theorien über den Mehrwert«, das 1861 bis 1863 von Marx angesammelt wurde. Einer der kuriosesten Marx-Texte, ein kleines Stück ökonomischer Wissenschaft und dennoch auch Satire. Hier wird uns bewiesen, daß ein Verbrecher so produktiv ist wie ein Rechtsprofessor oder ein Schlosser, ja, daß die Produktivität des ersteren von der der letzteren nicht zu trennen ist: Was wäre der Strafrechtsprofessor ohne das Verbrechen, was die Arbeit des
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