Marlene Suson 2
ihm den leeren Holzteller ab.
„Das war köstlich“, lobte er. „Sie sind eine ausgezeichnete Köchin.“
Es überraschte Meg, wie sehr dieses Kompliment sie freute. Allerdings war sie nicht sicher, ob sie diesem Mann überhaupt etwas glauben durfte. „Wahrscheinlich würde Ihnen in Ihrem halbverhungerten Zustand auch Wagenschmiere schmecken“, gab sie mit einem skeptischen Lächeln zurück.
Er schmunzelte. „Das möchte ich aber stark bezweifeln.“
Der Blick, den er ihr zuwarf, ließ ihr Herz schneller klopfen. Er hatte höchst bemerkenswerte Augen. Sie waren von einer Farbe, wie sie sie noch nie gesehen hatte – ein intensives Blau mit einem violetten Schimmer.
Sie senkte den Blick auf seine muskulöse Brust, die von der Sonne tief gebräunt und mit dunklem Kraushaar bedeckt war. Plötzlich überkam sie das starke Bedürfnis, mit der Hand über diese Brust zu streichen. Fühlte das nachtdunkle Haar sich rauh oder seidig an?
Hatte sie jetzt den Verstand verloren? Wie konnte sie nur zu- lassen, daß dieser Fremde sie anzog? Seine Striemen wiesen ihn als deportierten Sträfling aus, der seinem Herrn entflohen war. Und außerdem war er ein Lügner.
Meg riß sich zusammen und fragte beiläufig: „Möchten Sie noch Suppe?“
„Ja, bitte, Ma’am.“
Er behandelte sie mit untadeliger Höflichkeit. Vielleicht war er wirklich ein „mieser Kerl“, wie Josh sich so schmeichelhaft ausgedrückt hatte, doch sie mußte zugeben, daß er die Manieren eines Gentlemans hatte.
Und er sprach auch so. Seine gewählte Ausdrucksweise verriet den gebildeten, kultivierten Mann.
Er schaute auf den Teller in ihrer Hand. „Könnte ich jetzt vielleicht etwas anderes haben als nur Brühe?“
„Ich denke, das sollten wir noch nicht riskieren“, gab sie zu- rück. „Es ist schon eine Weile her, daß Sie feste Nahrung zu sich genommen haben, Earl.“ Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtete Meg ihn und wartete auf seine Reaktion.
Seine Augen verengten sich. „Ich sagte Ihnen doch schon, daß mein Name nicht Earl ist. Ich heiße Stephen, Stephen Wingate. Ich habe Ihnen auch angeboten, auf die Bibel zu schwören. Was soll ich sonst noch tun, um Sie zu überzeugen?“
Sie schaute ihm in die ungewöhnlichen Augen. „Sie könnten mir beispielsweise erklären, wer Earl Arlington ist.“
Er zögerte einen Augenblick. „Das kann ich nicht.“ Es hörte sich an, als wählte er seine Worte sehr sorgfältig. „Kein Mann aus meinem Bekanntenkreis hört auf den Vornamen Earl, und ich kenne auch keine Familie, die Arlington heißt.“
„Würden Sie das auch auf die Bibel schwören?“
„Selbstverständlich.“
Stirnrunzelnd schaute Meg auf den leeren Suppenteller in ihrer Hand. Schließlich hob sie den Blick. „Weshalb haben Sie dann im Fieber immer wieder behauptet, Earl Arlington zu heißen?“
„Kein Mensch ist verantwortlich dafür, was er im Fieberwahn sagt.“
Zweifelnd betrachtete sie ihn. Er wirkte zwar überzeugend, wenn er behauptete, nicht Earl Arlington zu sein, doch sie war sicher, daß er ihr irgend etwas verschwieg.
Stephen fuhr zusammen und öffnete die Augen. Er saß noch immer in die Kissen zurückgelehnt und war ein wenig einge- döst. Unbewußt suchte sein Blick den Raum nach Megan Drake ab. Als er sie am Tisch bei der Arbeit entdeckte, atmete er tief und erleichtert ein. Es irritierte ihn ein wenig, wieviel ihm die Gesellschaft dieser schlichten, einfachen jungen Frau in dem sackförmigen Kleid bedeutete.
Als er sich daran erinnerte, wie ihre Brust seine Wange gestreift hatte, fragte er sich erneut, Wie der Rest ihres Körpers unter die- sem häßlichen Sack wohl beschaffen war. Die Vorstellung, die er sich davon machte, rief eine eindeutige Reaktion seines eigenen Körpers hervor.
Er war einfach zu lange ohne eine Frau gewesen. Das war die einzige Erklärung dafür, daß Megan Drake ihn so aus der Ruhe bringen konnte. In seinem früheren Leben hätte er nie auch nur die geringste Notiz von ihr genommen.
Doch eines ließ sich nicht leugnen: Jetzt nahm er Notiz von ihr.
Trotz ihrer wenig einnehmenden Erscheinung und ihrer ärmli- chen Garderobe hatte sie das Auftreten einer Dame. Sie verhielt sich ganz und gar nicht wie eine einfache Siedlerfrau.
Ob sie wohl auf einer der großen Plantagen aufgewachsen war? Er wußte, daß die Familien der wohlhabenden Pflanzer in Virginia in Reichtum und Luxus lebten. Das Herrenhaus von Ashley Grove, das Flynt vor einiger Zeit erworben hatte, stand den
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