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Markttreiben

Markttreiben

Titel: Markttreiben
Autoren: N Förg
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älter ist als seine
Kameraden. Er geht auf die fuffzig zu. Aber Sie kennen das ja, Weinzirl: Burschenverein
heißt ja nur, unverheiratet zu sein, und der glückliche Leo hat von der Ehe
zeitlebens Abstand genommen.« Ein leises Lächeln huschte über Baiers Gesicht.
    Trotz der Kaffeescheußlichkeit hatte Gerhard den Eindruck, dass sein
Hirn immer noch nicht einwandfrei funktionierte. Wieso war Baier in Peiting?
Wieso Nachbar? Aber Baiers Läuterung war gewaltiger, als Gerhard sich je hätte
vorstellen können, denn Baier fuhr wieder ungefragt fort: »Erwähnenswert ist in
dem Zusammenhang eventuell noch, dass meine Frau und ich nach Peiting verzogen
sind.«
    »Sie? Nach Peiting?«
    Baier hatte Weilheim verlassen? Sein kleines Haus mit dem
Hobbykeller? Die Bierkrugsammlung und den kubanischen Rum? Und seine Frau das
großzügige Wohnzimmer, das ihr Raum gelassen hatte für ihre Ehrenamtsfreunde,
für Yoga und anderen Unsinn, um den Körper in widersinnigen Bewegungen
niederzuzwingen und dem Geist Flügel zu verleihen? Baiers Gattin, die alle
Räume nach Feng-Shui-Prinzipien hatte gestalten lassen und einen Rutengeher so
lange durchs Anwesen gescheucht hatte, bis nichts mehr da gestanden hatte, wo
es hingehört hatte? Sie hatte die beiden oberen Stockwerke besetzt gehalten,
Baier seinen Rumkeller. Und dieses Idyll hatten die beiden verlassen?
    »Jetzt schauen Sie nicht so, Weinzirl. Sie Allgäuer Berggams haben
ja auch den Lech überschritten. Ihren persönlichen Rubikon. Ich wohne jetzt in
einer aussichtsreichen Wohnung in der Schloßbergstraße und unsere Tochter mit
der Enkelin gleich obendrüber.«
    Die Tochter? War die nicht sonst wo gewesen, irgendwelche Ozeane
zwischen ihr und Weilheim? Und nun lebten die alle in Peiting? Peiting, das
Gerhard so naheging wie eine Supermarkttüte. War Baier jetzt zum
Familienmenschen mutiert? Aber das fragte Gerhard natürlich nicht, zumal der
erstaunliche Baier nämlich noch einen nachschob. »Ich bemühe mich neuerdings um
korrekte Sprache, damit Nelly vernünftiges Deutsch lernt.«
    War die Tochter mit einem Südamerikaner verheiratet? Oder gewesen?
Baier hat nur von Tochter und Enkelin gesprochen, die demnach wohl Spanisch
konnte oder auch Portugiesisch oder etwa Englisch – und nun sollte das Kind
eben Peitinger Deutsch lernen. Ein kühnes Projekt. Gerhard musste leicht
grinsen, weil er sich Baier so gar nicht als typischen Opa vorstellen konnte.
Andererseits: Was war schon ein guter Opa? Von Baier konnte diese Nelly
zumindest Pragmatik lernen und einen klaren Blick auf die Menschen. Gerhard
versuchte sich zu konzentrieren.
    »Diese Filmkameras sind also weg?«
    »Ja, laut Winnie waren das zwei Filmkameras und das Equipment der
Standfotografin. Und als er wieder reingekommen ist und den toten Leo entdeckt
hat, bemerkte er sofort, dass die Kameras fehlten.«
    »Und ist zu Ihnen geeilt, der gute Winnie?« Gerhard kam das wirklich
spanisch vor – mit oder ohne Enkelin.
    »Ja«, war Baiers schlichte Antwort.
    »Und niemand hat etwas Verdächtiges gesehen?«
    »Nein, ich meine: Gesehen hat er in den frühen Morgenstunden
natürlich jede Menge Leutchen. Wissen Sie, Weinzirl, da ist noch das winzige
Detail, dass gestern Bürgerfest war. Sie wissen schon: Wein, Weib und Gesang.
Rock Selig Erben hat gespielt, bis das Gewitter kam. Es war die halbe
Marktgemeinde am Weg und das Umland auch. Mit dem Gewitter hat die Filmcrew
schnell ihre Kameras an Leo übergeben, im Ort waren aber trotz des Regens noch
jede Menge Leute unterwegs. Im Central, beim Keppeler, im Eiscafé, unter
Planen, es war sicher halb drei, bis es ruhiger wurde.«
    Gerhard stöhnte auf. Eine Band, die selig war, weil sie einen Rock
geerbt hatte? Wo war er da nur hingeraten? Nasse, betrunkene Menschen, die
überall rumgetrampelt waren und die sicher nicht mehr klar umrissen, wer wen wo
gesehen hatte. Es war ein ermittlungstechnischer Alptraum. Der Super- GAU . Plötzlich hatte er eine Idee.
    »In so einem Bankfoyer muss es doch Überwachungskameras geben?«
    Baier nickte. »Das war auch mein Gedanke, ich habe einen
Verantwortlichen rausgeklingelt bei der Raiba, ich dachte …«
    Der gute Baier – und wie aufs Stichwort tauchten zwei Herren auf,
die sich als hohes Tier bei der Raiba Süd und als Techniker zu erkennen gaben.
Der eine sperrte die Filiale auf, während der andere sich um die Kameras
kümmern wollte. Eine weitere Angestellte war hereingehuscht, sie bekamen Kaffee
gekocht, der deutlich besser war als der
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