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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten
Autoren: Carre
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das Taxi geparkt hatte, hielten seine beiden Aufpasser mit ihrem Audi unten auf der Straße, für den unliebsamen Eventualfall, daß MEILENSTEIN sich nicht dafür erwärmen konnte, verschleppt zu werden. Ihr Auftrag lautete, so lange im Wagen sitzen zu bleiben, bis Bachmann sie rief. Das hatte er ihnen gar nicht gründlich genug eintrichtern können. Wer mit Mohrs Leuten fraternisierte, dem drohte die Exkommunikation.
    Bachmann nahm verstohlen die Nachbarhäuser in Augenschein und erspähte mit Grausen zwei schattenhafte Gestalten auf einem Dach und zwei weitere an der Einmündung einer Sackgasse hinunter zum Alsterufer. Die stummen Bilder auf seinem Display zeigten ihm Annabel und FELIX, die im Foyer warteten, während Brue MEILENSTEIN zum Waschraum begleitete und dann selber noch einmal nach oben verschwand, vielleicht vom gleichen Bedürfnis getrieben, vielleicht auch, um sich ein rasches Gläschen zu genehmigen.
    Auf dem Bildschirm stehen Annabel und FELIX ungefähr zwei Meter voreinander, sie lachen ein wenig angespannt. Es ist das erste Mal, daß Bachmann Annabel mit Kopftuch sieht. Und das erste Mal, daß er sie lachen sieht. FELIX breitet die Arme aus, hebt sie über den Kopf und macht ein paar Tanzschritte. Etwas Tschetschenisches, vermutet Bachmann. Annabel in ihrem langen Rock tanzt, Abstand haltend, mit. Der Tanz endet, bevor er richtig begonnen hat.
    Bachmann machte die Augen zu und öffnete sie wieder. Doch, er war immer noch hier, immer noch in Erwartung des endgültigen grünen Lichts, immer noch entgegen Axelrods ausdrücklicher Weisung – aber Risiko war Günther Bachmanns zweiter Vorname, das war so und das blieb so. Der Mann vor Ort gibt den Ton an: Bachmanns Gesetz. Aber warum nur diese elende Verzögerung, warum, warum? Wenn Berlin die Sache nicht total verbockt hatte, was natürlich nie ganz auszuschließen war, dann war Abdullah so kompromittiert, wie ein Mensch nur sein konnte, und die Operation war ein Triumph. Wo also blieben die Fanfaren, wo blieb sein grünes Licht, jetzt, wo jede Minute zählte?
    Sein Handy klingelte. Niki, mit einer Nachricht von Maximilian: »Eine schriftliche Weisung. Gerade reingekommen.«
    »Lies vor«, murmelte Bachmann.
    »›Projekt verschoben. Gebiet sofort räumen, zurück ins Lagezentrum.‹«
    »Wer hat sie unterschrieben, Niki?«
    »Die Zentrale. Oben dein Zeichen, unten das der Zentrale.«
    »Kein Name?«
    »Kein Name«, bestätigte Niki.
    Eine Konsensentscheidung also, wie alle, die aus der Zentrale kamen. Ganz egal, wer tatsächlich die Fäden zog.
    »Und da steht tatsächlich Projekt? Projekt verschoben? Nicht Operation verschoben?«
    »Richtig, Projekt. Kein Wort von Operation.«
    »Und nichts über FELIX?«
    »Nichts.«
    »Oder MEILENSTEIN?«
    »Nichts über MEILENSTEIN. Das war die gesamte Nachricht.«
    Er versuchte, Axelrod auf dem Handy zu erreichen, bekam aber nur die Mailbox. Er versuchte es auf dem Festnetzanschluß – besetzt. Er versuchte es über die Telefonzentrale – keine Antwort. Auf dem Bildschirm vor seinen Knien kommt Brue wieder die Treppe herunter. Jetzt warten sie im Foyer zu dritt darauf, daß MEILENSTEIN den Waschraum verläßt.
    Projekt verschoben, schreiben sie.
    Für wie lange? Um fünf Minuten oder für immer?
    Axelrod ist ausmanövriert worden. Sie haben ihn ausmanövriert, aber sie haben ihn die Weisung schreiben lassen, und er hat sich absichtlich so schwammig ausgedrückt, damit ich ihn mißverstehen kann.
    Nicht FELIX, nicht MEILENSTEIN, nicht Operation, nur Projekt. Axelrod sagt mir, ich soll es auf meine Kappe nehmen. Wenn du losschlagen kannst, schlag los, aber sag nicht, daß du es von mir hast, sag bloß, du hast die Nachricht falsch verstanden. Nein, wiederhole ja.
    Issa und Annabel und Brue warteten immer noch darauf, daß MEILENSTEIN aus dem Waschraum kam, genau wie Bachmann.
    Was zum Henker machte er so lange da drinnen? Bereitete er sich auf den Märtyrertod vor? Bachmann sah wieder seinen Blick vor sich, als er vorhin auf Issa zugegangen war, um ihn zu umarmen: umarme ich einen Bruder oder meinen eigenen Tod? Den gleichen Gesichtsausdruck hatte er bei den Fanatikern in Beirut gesehen, bevor sie loszogen, um sich in die Luft zu sprengen.
    Er ist draußen, endlich. MEILENSTEIN hat den Waschraum verlassen. Er trägt seinen beigefarbenen Burberry-Mantel, aber ohne das weiße Scheitelkäppchen. Hat er es drinnen liegenlassen? In seinen Aktenkoffer gesteckt? Oder will er uns damit etwas sagen? Vielleicht das, was
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