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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten
Autoren: Carre
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ein altmodisches schwarzes Telefon, ein Fremdkörper in dieser Umgebung, gemütlich zu klingeln begonnen. Niki zuckte mit keiner Wimper. Sie hob nicht fragend die Augenbrauen, sie ermahnte ihn nicht, sie half ihm nicht in seinem Zögern. Sie ließ es einfach klingeln und wartete auf ein Zeichen von ihm. Bachmann nickte ihr zu: Geh ran. Sie legte den Kopf schief und wartete, daß er es aussprach.
    »Geh ran«, sagte er laut.
    Sie nahm den Hörer ab und antwortete in einem munteren Singsang, der über Lautsprecher in den Wagen übertragen wurde: »Hansa Taxis! Vielen Dank für Ihren Anruf. Die Adresse, bitte.«
    Brue diktierte sie ihr in Mitschreibgeschwindigkeit. So entspannt hatten sie ihn den ganzen Abend noch nicht gehört.
    »Telefon?«
    Brue gab ihr die Nummer.
    »Einen Augenblick, bitte!« trällerte Niki und tat so, als müsse sie im Computer nachschauen. Sie hielt die Hand über die Sprechmuschel des schwarzen Telefons und wartete erneut auf Bachmanns Anweisung. Der überlegte noch einen Moment. Dann stand er auf, fischte die Seemannsmütze vom Haken an der Tür und stülpte sie sich auf. Er schlüpfte in die billige Jacke, langsam. Er rückte sie an den Schultern zurecht.
    »Sag ihm, ich bin unterwegs«, sagte er.
    Niki nahm die Hand von der Sprechmuschel.
    »Zehn Minuten«, sagte sie und legte auf.
    In der Tür stehend, warf Bachmann einen letzten Blick auf die Bildschirme.
    »Los genügt«, sagte er zu Maximilian und Niki. »Mehr braucht ihr nicht zu sagen, wenn wir grünes Licht kriegen. Einfach nur los.«
    »Und wenn nicht?« fragte Niki für sie beide.
    »Wenn nicht was?«
    »Wenn wir es nicht kriegen. Das grüne Licht.«
    »Na, dann sagt ihr gar nichts.«
    * * *
    Brue haßte den mit Hightech-Spielzeug vollgestopften Computerraum, und nicht nur deshalb, weil er sich darin so hilflos fühlte. Selten hatte er solche Trauer empfunden wie damals, als er, flankiert von seiner ersten Frau Sue und Georgie, in ihrem Garten in Wien vor dem prasselnden Feuer gestanden und zugesehen hatte, wie die berühmte Brue-Frères-Kartei in Flammen aufging. Auch diese Schlacht verloren. Auch diese Vergangenheit zerstört. Ab jetzt sind wir wie alle anderen.
    Dr. Abdullah roch nach Babypuder, fiel ihm auf, während er mühsam eine Zahlenkombination eingab. Bei seinem Besuch bei ihm zu Hause hatte Brue nichts davon bemerkt. Vielleicht hatte der alte Knabe zur Feier des Tages eine doppelte Ladung aufgelegt. Er fragte sich, ob Annabel es auch roch; wenn es vorbei war, würde er sie fragen.
    Abdullahs weißes Hemd und sein Scheitelkäppchen leuchteten hell im Neonlicht, und er stand so dicht über Brue gebeugt, daß er ihn mit der Schulter berührte, während sein Zeigefinger hilfsbereit bald auf eine Bankleitzahl, bald auf einen zu überweisenden Betrag deutete.
    Wenn er ehrlich war, fühlte Brue sich im eigenen Luftraum etwas bedrängt durch diesen Körperkontakt im Verein mit dem Babypuder und der Wärme im Zimmer. Arabischen Männern machte das nichts aus, hatte er gelesen: sie konnten die härtesten Kerle im Viertel sein und trotzdem händchenhaltend Spazierengehen oder im Café sitzen. Dennoch wäre es ihm lieber gewesen, wenn Abdullah ein bißchen mehr Abstand gehalten hätte; es störte ihn beim Tippen.
    Ismail. Wieso kam ihm plötzlich Ismail in den Sinn? Vielleicht, weil er Georgie immer einen Bruder gewünscht hatte. Hübscher Junge. Wenn ich in dem Alter so ausgesehen hätte, ich hätte Furore machen können. Aber vielleicht habe ich ja so ausgesehen und nur trotzdem nicht Furore gemacht? Wie das Leben so spielt … Und Fatima – wollte wo studieren? Oxford? – an der London School of Economics, richtig. In solche Höhen hatte Georgie sich nie aufgeschwungen. Blitzgescheit, das war sie, durchschaute jeden im Nu, ließ sich von keinem ein X für ein U vormachen, aber für akademische Bildung war sie nicht geschaffen. Wobei sie in vieler Hinsicht gebildet zur Welt gekommen war. Nur eben nicht im landläufigen Sinn.
    Wieder ein Schwaden Babypuder. Abdullah rückte ihm immer dichter auf den Leib. Wenn ich nicht aufpasse, sitzt er als nächstes auf meinem Schoß. Und dann die Kleinen – wie viele waren es? Drei? Vier? Und noch eins im Garten? Schon bemerkenswert, sich einfach so fortzupflanzen. Praktisch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Vögeln und dabei noch Gottes Willen tun.
    Abdullahs Zeigefinger war ein paar Zeilen nach unten gerutscht. Eine Reederei auf Zypern. Wie zum Teufel kam die jetzt ins Spiel?
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