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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten
Autoren: Carre
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als junger Frau postiert. »Du machst es wie Dorian Gray, kann das sein? Wir glauben, ja. Wir glauben, du bist bei ihm in die Lehre gegangen. Wir glauben, irgendwo in den Kellergewölben deiner Bank muß das grauenerregende Bildnis von Tommy Brue versteckt sein, das ihn in seinem wahren Alter zeigt. Während du selbst, statt wie deine Queen in Würde zu altern, unter uns sitzt wie ein fünfundzwanzigjähriger Elf, mit genau dem gleichen Lächeln wie vor sieben Jahren, als du aus Wien hier ankamst, um uns unserer sauer verdienten Reichtümer zu berauben.«
    Zu anhaltendem Beifall nimmt Westerheim die wohlgeformte Hand von Brues Gattin Mitzi, auf die er (mit ganz besonders galanter Geste, da Mitzi Wienerin ist] einen Kuß appliziert, um sodann den Versammelten mitzuteilen, daß ihre Schönheit im Gegensatz zu der ihres Mannes in der Tat unvergänglich ist. Aufrichtig gerührt erhebt sich Brue, um seinerseits Westerheims Hand zu ergreifen, aber der alte Mann, vom eigenen Triumph fast ebenso berauscht wie vom Wein, drückt ihn an seine Brust und flüstert ihm kehlig ins Ohr: » Tommy, alter Freund … dieser Kunde von dir … um die Untersuchung kümmern wir uns schon … erst Vertagung aus verfahrenstechnischen Gründen … und dann versenken wir sie in der Elbe … Happy birthday, Tommy, alter Freund … du bist ein feiner Kerl …«
    Brue setzte seine Halbbrille auf und studierte die Anschuldigungen gegen seinen Kunden erneut. Ein anderer Bankier, nahm er an, hätte längst zum Hörer gegriffen, Westerheim für seine diskrete Zusage gedankt und ihn so indirekt beim Wort genommen. Nicht so Brue. Er konnte es nicht über sich bringen, auf ein unbedachtes Versprechen zu pochen, das dem alten Knaben im geburtstäglichen Überschwang entschlüpft war.
    Er griff nach einem Stift und kritzelte eine Notiz für Frau Ellenberger: »Bitte gleich Montag morgen beim Sekretariat der Handelsüberwachung nachfragen, ob ein Termin angesetzt ist. Danke! TB.«
    So, dachte er. Jetzt kann der gute Westerheim nach Gusto entscheiden, ob er die Anhörung durchzieht oder sie kippt.
    Die zweite Pflichtübung des Abends war Mad Marianne, wie Brue sie nannte, wenn auch nur Frau Ellenberger gegenüber. Marianne, Witwe eines wohlhabenden Hamburger Holzhändlers, war die Verkörperung sämtlicher Klischees rund um das Privatbankgeschäft: die langlebigste Seifenoper im Programm von Brue Frères. In der heutigen Folge hat sie sich von einem dreißigjährigen dänischen Pastor zum Glauben erwecken lassen und ist drauf und dran, ihren weltlichen Gütern – oder anders ausgedrückt, einem Dreißigstel der Reserven von Brue Frères – zu entsagen, um sie einer mysteriösen Wohltätigkeitsstiftung unter der seelsorgerischen Kontrolle ihres Bekehrers zu überschreiben.
    Die Ergebnisse der Erkundigungen, die Brue in Eigenregie eingeholt hat, liegen nun vor ihm und sind wenig ermutigend. Der Pastor stand kürzlich wegen Betrugs vor Gericht, wurde jedoch freigesprochen, da sich keine Zeugen auftreiben ließen. Er hat außerdem uneheliche Kinder von mehreren Frauen. Aber wie soll der arme Brue seiner enthusiasmierten Kundin diese Nachricht beibringen, ohne ihr Konto zu verlieren? Mad Marianne reagiert auch in den besten Zeiten allergisch auf Hiobsbotschaften, wie er mehr als einmal zu seinem Schaden erfahren mußte. Nur unter äußerstem persönlichem Einsatz – in allen Ehren, versteht sich!, wie Brue hier betonen würde – hat er sie davon abhalten können, ihr Konto irgendeinem engelszüngigen Jüngelchen bei Goldman Sachs anzuvertrauen. Es gibt einen Sohn, der um ein Vermögen gebracht würde, und anfallsweise liebt Marianne diesen Sohn heiß und innig, doch er – noch so ein Dreh! – erholt sich derzeit im Taunus von seinem Entzug. Ein dezenter Ausflug nach Frankfurt könnte die Lösung sein …
    Also eine zweite Notiz an die getreue Frau Ellenberger: »Bitte Klinikdirektor kontaktieren und herausbringen, ob der Junge in der Verfassung ist, Besucher (mich!) zu empfangen.«
    Abgelenkt durch das Klicken der Telefonanlage neben dem Schreibtisch, warf Brue einen Blick auf die blinkenden Knöpfe. Wenn der eingehende Anruf über seine Privatleitung kam, würde er ihn annehmen. Er kam nicht über die Privatleitung, also wandte er sich dem Halbjahresbericht zu, der, wiewohl grundsolide, ein paar Glanzlichter benötigte. Er hatte sich noch nicht lange damit befaßt, als es in der Telefonanlage erneut klickte.
    War das eine neue Nachricht, oder hatten sich
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