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Marie und die Meerjungfrau (Das Geheimnis der Zaubermuscheln)

Marie und die Meerjungfrau (Das Geheimnis der Zaubermuscheln)

Titel: Marie und die Meerjungfrau (Das Geheimnis der Zaubermuscheln)
Autoren: Lassal
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irgendjemand etwas sagen konnte, nahm der Vater die Schleife aus dem Papier und hielt sie an Maries neues Kleid. Das breite Band der Schleife überdeckte das Loch komplett.
    „Sie ist wunderschön! Wie für das Kleid gemacht. Wo um alles in der Welt hast du diese Schleife heute Morgen hergezaubert?”, fragte Maries Mutter, während sie vorsichtig mit ihrer Hand über den kostbaren Stoff fuhr.
    „Erinnerst du dich, dass ich gestern dem alten Fischerehepaar geholfen habe, ihr Dach abzudichten?” Er hielt kurz inne, wie um nach Worten zu suchen: „Dabei ist mir etwas wirklich Seltsames passiert.”
    Der Vater ging zum Fenster, nahm einen Schluck Kaffee und blickte den Strand entlang in die Richtung, wo das Haus der Fischerleute stand. Es war das älteste Haus der Insel und jedes Jahr aufs Neue musste das Dach an irgendeiner Stelle geflickt werden, weil der Regen durchsickerte. Meistens half Maries Vater dabei, da er jung und kräftig war, und in der Pension alle wichtigen Werkzeuge hatte. Die alten Fischerleute waren ihm für seine Hilfe immer sehr dankbar und versorgten ihn im Gegenzug mit den besten Stücken aus ihrem Fang.
    „Dieses Mal war die undichte Stelle an einer Ecke, an der ich vorher noch nie ausbessern musste,” erzählte der Vater. „Sicher war mir deshalb die falsche Wand im Dachstuhl vorher nicht aufgefallen.”
    Er stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch und goss sich noch ein wenig Milch nach. Dann schaute er zu Marie und seiner Frau und runzelte leicht die Stirn.
    „Also das, was im Dachstuhl so aussah, als sei es die Außenwand des Hauses, war eine nachträglich eingezogene Wand, die einen Hohlraum dahinter verbarg — ein schmales, langes Zimmer. Das Seltsame daran war, dass es keine Tür zu dem Raum gab, und das, obwohl dort Sachen aufbewahrt wurden.”
    „Was denn für Sachen?”, fragte die Mutter, die immer noch die Brokatschleife in der Hand hielt.
    „Eine verschlossene Holzkiste stand dort, ein Koffer mit Kleidungsstücken, die aber alle so von Motten zerfressen waren, dass man gar nicht mehr erkennen konnte, was genau sie einmal gewesen waren. Tja, und dann war da noch ein kleines Päckchen.”
    Der Vater stellte die Kaffeetasse ab und ging zu seiner alten Windjacke, die neben dem Kühlschrank an einem Wandhaken hing. Er griff in die ausgebeulte Seitentasche und holte ein Bündel bräunlichen Papiers heraus.
    „Hiermit war es eingewickelt.”
    Er legte das vergammelt aussehende Bündel auf den Küchentisch. Es bestand aus vielen schützenden Lagen, und die äußerste war Geschenkpapier. Sehr altes Geschenkpapier zwar, aber eindeutig als solches zu erkennen. Es waren sogar noch Reste einer alten Schleife vorhanden. Dort, wo die Schleife das Material vor Luft und Feuchtigkeit geschützt hatte, konnte man das Muster mit den weißen Blumenranken noch sehr gut ausmachen.
    „Das war ja ein Geschenk!”, meinte Marie aufgeregt.
    „Ja”, sagte der Vater und legte einen kleinen, von der Zeit vergilbten Umschlag auf das Papierbündel. Auf dem Umschlag stand mit verschnörkelter Schrift, verblasst, aber doch noch deutlich zu lesen: „Für Marie”.
    „Ist das nicht verrückt?” Und verschmitzt fügte er hinzu: „Ich muss also gestehen, dass die Brokatschleife nicht wirklich richtig von mir ist. Aber das alte Fischerehepaar meinte sofort, dass du sie bekommen solltest. Immerhin gibt es hier weit und breit keine andere Marie als dich.”
    „Ja, aber seltsam ist das wirklich”, meinte Marie und schaute in den Umschlag mit ihrem Namen drauf. Er war leer.
    „Wann wurde das Haus gebaut?”, fragte die Mutter vorsichtig, und strich wieder über die kostbare Schleife.
    „Ich schätze mal vor etwa 150 Jahren. Und der kleine Raum muss auch fast so alt sein.” Der Vater lachte: „Ihr müsst euch also keine Sorgen machen, dass irgendjemand morgen vor der Tür steht und nach der Schleife fragt. Außerdem hätten die Motten und der Moder sie eh zerstört, wenn sie nicht so gut verpackt gewesen wäre. Es ist ein Riesenglück, dass sie die lange Zeit unbeschadet überstanden hat.”
    Nun hob der Vater feierlich seine Kaffeetasse hoch und rief:
    „Auf unsere kleine Ballerina und ihr herrliches Kleid! Und auf die schöne Schleife, die so lange auf ihre Marie warten musste.”
    Endlich war die Stimmung gelöst, und als ihre Eltern ihr dann noch ein Geburtstagslied anstimmten, zu dem ihr Vater absichtlich eine völlig falsche Melodie sang, musste Marie so lachen, dass sie einen Hustenanfall bekam.
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