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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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einzelnen Waren steht“, hatte sie mir ihren ledernen Beutel in die Hand gedrückt. Der Krämer packte mir in Windeseile das Gewünschte in meinen kleinen Huckelkorb, dazu den erbetenen Zettel, den Madame Chalet persönlich sorgfältig ausfüllte, und ich bezahlte ebenso gewissenhaft und achtete darauf, dass Chalet mir richtig herausgab.
    Dann machte ich mich auf den Heimweg.
    Doch was war nur mit mir los? Es war dieses wunderhübsche Tagebuch, das ich hinter der Ladentheke in einem Regal hatte liegen sehen, das mir keine Ruhe ließ. Über und über mit violetten Veilchen und goldenen Engeln bedruckt, hatte es ein ebenso goldfarbenes Schloss mit einem kleinen Schlüsselchen daran gehabt. Schon immer hatte ich mir ein Tagebuch wie das von Louise gewünscht, in das ich jeden Abend meine Gedanken hätte hineinschreiben können. Mutter jedoch hielt solches Zeug für Humbug.
    „Von wem hast du nur diese Art?“ hieß es, wenn ich darum bettelte. Mutter hatte selten für mich und meine Wünsche Verständnis, Geld hin, Geld her. Und von wem ich diese Art hatte? Tja, war es nicht ihre Urgroßmutter gewesen, die ihr neugeborenes, ständig brüllendes Geschwisterchen mitten in der Nacht in den Dorfbrunnen geworfen hatte, um es bei der alten Brunnenfee umzutauschen gegen eines, das weniger brüllte? Doch davon wollte Mutter nichts hören.

    So langsam ich konnte, trödelte ich den langen Weg von Montazel in Richtung Couiza entlang, von dem starken, geradezu unwiderstehlichen Wunsch beseelt, noch einmal umzukehren und etwas Dringendes zu erledigen. Es war schwül. Die Schwalben flogen tief, was nichts Gutes bedeutet. Zweimal blieb ich stehen, nahm den Korb von den Schultern, fischte den Zettel heraus und besah ihn mir von allen Seiten. Die Rechnung war mit Bleistift geschrieben, Madame Chalet hatte eine kindliche Schrift – und so kam ich auf folgenden dummen Plan: Ich würde noch einmal zurücklaufen und dem Krämer sagen, dass ich beinahe das Wichtigste vergessen hätte, einen einfachen Bleistift nämlich - und jenes Tagebuch. Mit dem Stift gedachte ich auf dem Heimweg die Beträge von Wolle und Nadeln zu verbessern. Großmutter stand mit dem Lesen und Schreiben ohnehin auf Kriegsfuß, weil sie bereits mit acht Jahren täglich auf dem Feld hatte arbeiten müssen.
    So schlau dieser Plan auch war, die Rechnung ging dennoch nicht auf, weil mir nämlich der Krämer selbst einen Strich durch sie machte. Zuerst warf er mir einen überraschten Blick zu, als ich unter dem heftigem Gebimmel der Ladenglocke ein zweites Mal sein Geschäft betrat.
    „So, so, das hübsche Tagebuch möchtest du haben, kleine Marie! Hast du denn auch genügend Geld bei dir?“ sagte er leise und schürzte dabei die vollen Lippen.
    „Ich weiß es nicht. Was soll es denn kosten?“ fragte ich, so unschuldig es mir nur eben möglich war.
    Chalet fing plötzlich an, seltsam zu schwitzen. Nun war es an diesem frühen Nachmittag wirklich außerordentlich drückend, sicher würde gegen Abend erneut ein schweres Gewitter aufziehen. Erst gestern hatte es mächtig geblitzt und gedonnert. Der nachfolgende Sturm hatte sogar zahlreiche Äste abgebrochen, Hausdächer abgedeckt und den dicken Ahorn, der, seit ich zurückdenken konnte, am Dorfrand von Couiza stand, fast vollständig entwurzelt. Drei Stunden lang hatte es gestürmt und getobt. Im Laden von Monsieur Chalet jedoch, in dem es nach allerlei fremdartigen Gewürzen, vor allem aber stark nach Kernseife roch, war es dunkel und angenehm kühl. Dennoch sah ich, wie in Windeseile kleine Schweißperlen auf des Krämers Stirn traten und wie er sich nervös immer wieder mit dem rechten Zeigefinger über die Oberlippe fuhr, um dort die Schweißspur zu entfernen, die sich im Grübchen zwischen den beiden schwarzen Schnurrbartpinseln gebildet hatte. War er wohl krank?
    Plötzlich reckte er den Hals und rief mit einschmeichelnder Stimme in die Küche: „Was kostet das Tagebuch mit den Engeln? Kannst du noch einmal in den Laden kommen?“
    „Nein, kann ich nicht!“ schrie seine Frau ziemlich ungehalten zurück. „Der Teig fällt mir zusammen, wenn er nicht eine Stunde ununterbrochen geschlagen wird. Der Preis steht auf der Innenseite des Buches. Stell dich nicht immer so dumm an!“
    „Danke, Sophie, ich habe ihn gerade selbst gefunden!“ rief der Krämer nach hinten und fing an, noch stärker als zuvor zu schwitzen. Er hatte aber ganz offensichtlich gelogen. Denn nun erst schlug er das Buch auf. Rasch klappte er es
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