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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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nämlich
    zum Einkaufen. Das Schneeschippen ist in italieni-
    schen Kleinstädten ein großer Spaß, weil die Straßen so eng sind, dass man nicht weiß, was man mit dem
    Schnee auf seinem Auto anfangen soll. Also schaufelt man ihn einfach auf das Auto, das hinter einem
    steht.
    Die Weihnachtsvorbereitungen in Italien fallen
    entschieden bescheidener aus als bei uns. Eigentlich merkt man erst an Heiligabend, dass die Geburt des
    Heilands bevorsteht. Antonio klatscht in die Hände
    und ruft: »So, nu mache wir der Baume!« Ich denke:
    Prima!, und freue mich auf einen weiteren Spazier-
    gang zu einem Baumhändler, möglicherweise mit
    einem Zwischenstopp bei Daniele, und greife nach
    meinem Schal.
    »Was iste, willste du raus?«
    »Ich denke, wir besorgen einen Baum?«, sage ich
    irritiert, denn ich sehe in Nonna Annas Wohnung
    kein für Dekorationszwecke taugliches Gehölz, nicht einmal einen Kaktus.
    »Liebe Jung, musse wir nichte besorge, habbe wir
    schon lange besorgte.«
    Nonna Anna kramt aus einem verwitterten Karton,
    den sie in ihrem Schlafzimmerschrank aufbewahrt,
    einen Weihnachtsbaum aus Plastik hervor. Toni steckt die Zweige zusammen und singt dazu »Dschingelle
    Bells«. Dann umspinnt er das Geäst mit kleinen bun-
    ten Lämpchen, die bald in Reihe, bald in einem
    zufälligen Rhythmus aufleuchten: Gottes Lichtorgel
    oder, wie es in Nashville, Tennessee, heißen würde: God’s own light organ. Der Baum kommt unter das Jesusbild im Wohnzimmer und blinkt von nun an
    sechs Tage ununterbrochen psychedelisch vor sich
    hin. Und das nicht nur bei Nonna Anna. Überall in
    dem kleinen Bergstädtchen zirpt und leuchtet und
    funzelt es bunt hinter den Fensterscheiben – und drinnen gibt es Schweinefüße und mit Oliven gefüllte
    Krapfen, während im Fernsehen Nikoläusinnen in
    gut gefüllten roten Bikinis Showtreppen hinunter-
    gehen.

    Nachmittags beginnen unsere Besuche bei den wich-
    tigsten Onkeln, Tanten und entfernten Cousinen,
    also bei Marco, bei Pamela und Paolo sowie bei
    Matteo, der mich mit »Ciao, Kartoffel« begrüßt. Die Freude über unseren Besuch gipfelt allüberall auch
    in der Mobilmachung sämtlicher Nachbarn, die kurz
    vorbeikommen, um sich uns, vor allem natürlich
    Sara anzusehen, die hier jeder seit ihrer Kindheit
    kennt. Flüsternd souffliert mir im Hintergrund mein Schwiegervater leise über Verwandte und Bekannte:
    »Der da iste nichte gerade hellste Kügelchen in de
    Rosekranz. Kanner nicht unterscheiden Wein und
    Hundepisse. Aber wenn du mal der Haus streichende
    willst, machte er billiger als alle andere. Kommte
    auch zu euch, musse nur fragen.«
    Am frühen Abend fahren wir bei immer noch rie-
    selndem Schnee zu Opa auf den Friedhof. Nonna
    Anna bringt ihm Blumen und schimpft mit ihm, als
    sei er nie gestorben. Dann weiter in die Kirche und schließlich nach Hause. Wir Deutschen glauben nun,
    jetzt komme das Wesentliche: sich nett anziehen,
    Gedichte aufsagen, danach Bescherung. Aber in
    Italien ist Weihnachten gar nicht so wichtig, da wird nicht viel geschenkt. Weihnachten ist eher ein Kin-derfest, die Kleinen bekommen reichlich: Kleidchen, Kerzchen, Puppen in rosa Tüllkostümen, Süßigkeiten
    und Spielzeug.
    Zur großen Freude aller Anwesenden packt Gian-
    lucas und Barbaras Sohn Antonio (der jüngste aller
    Namensvetter) eine blinkende Pumpgun aus, die ein
    derart infernalisches Geknatter von sich gibt, dass es keiner scharfen Munition bedarf, um seine Mitmen-schen damit umzubringen. Außerdem entsiegelt er
    mehrere Leuchtkugeln, Italienisch sprechende Tiere
    und ein Laserschwert.
    Es ist übrigens den Italienern ein gewisser Hang
    zum Bonbonfarbenen nicht ernsthaft anzukreiden,
    denn nur wenn die Dinge schön bunt sind, erkämp-
    fen sie sich die Aufmerksamkeit eines italienischen Kindes. Die Sachen müssen eigentlich nicht funktionieren – jedenfalls nicht lange – oder einem nach-
    vollziehbaren Sinn dienen, sondern auffallen. Dies
    dürfte leitmotivisch für das Wesen der Italiener sein, in dem es ebenfalls hauptsächlich darum geht, andere auf sich aufmerksam zu machen. Wenn dies über
    die pure Leuchtkraft der eigenen Erscheinung nicht
    möglich ist, dann eben über Geräusche. Italienische Männer, auch wenn sie keine Operntenöre sind, wissen stets, wie man sich akustisch in Szene setzt.
    Übertragen auf Spielzeug zu Weihnachten heißt das:
    Ein Geschenk, das keine Geräusche macht, ist etwas
    für Taubstumme – oder Deutsche.
    Folgerichtig erhalte ich ein sehr
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