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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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irgendwo in der Provinz ein neues Haus gefunden hat. Oder sollte
sie aus dem Ertrag ihrer verkauften Gießerei das heimische Domizil von Grund
auf renoviert haben?
    „Auch dieses Haus hatte unter
den Jahren und den Menschen gelitten“, schreibt Malet. Heute leidet hier
niemand mehr. Das schwere Portal bleibt dem unwillkommenen Besucher
verschlossen, wenn ihm einer der gewiß betuchten Bewohner nicht den Nummerncode
mitgeteilt hat. Schließlich spricht mich eine Dame, die den Code zu knacken
weiß, auf deutsch an. Fragende Blicke, die an
Häuserfassaden nach oben wandern, müssen offenbar etwas Deutsches an sich
haben. Überrascht und umständlich erkläre ich ihr den Sinn meiner
Nachforschungen. Natürlich hat sie niemals etwas von Madame Jacquier gehört.
Auch Léo Malet und Nestor Burma, so gibt sie vor, kennt sie nur vom Hörensagen.
Sie wohnt überhaupt nur vorübergehend hier. Aber an der Ecke, in dem kleinen
Café, sagt sie, sitzt ein älterer Herr, der schon seit langem hier zu Hause
ist. Der könne mir sicher einiges über die Jahre erzählen, in denen es noch so
wie früher war.
    Ein flüchtiger Blick in den
Vorhof genügt, um letzte Zweifel zu beseitigen. Hier sind längst andere Mieter
eingezogen. Der Mann im Café an der Ecke ist gerade nach Hause gegangen, sagt
der Patron. Nein, er selbst weiß nicht, wie es früher hier ausgesehen hat. Er
ist auch erst seit zwei Jahren hier und seit dieser Zeit wird immer weiter
renoviert.

    So auch das Hôtel Salé, das zu
Burmas Zeiten noch „unter häßlichen Verschönerungsarbeiten ohne Stil und
Geschmack teilweise verschüttet“ war und, sorgfältig herausgeputzt, im
September 1985 als Picasso-Museum für die Öffentlichkeit freigegeben wurde. Seinen ,gesalzenen’ Namen verdankt es dem ersten Besitzer,
einem Steuereintreiber, der sich seinen Lebensunterhalt (wohl nicht allein)
durch den Einzug der Salzsteuer gesichert hatte. Gemessen an der Ausstattung
des Palais muß der Salzkonsum im 17. Jahrhundert enorm gewesen sein.

    Weitaus prächtiger noch ist das
Hôtel Carnavalet, das das Pariser Stadtmuseum beherbergt. Eines der
sehenswertesten Museen überhaupt in Paris. Vor allem für Spurensucher der
Revolutionsära. So läßt sich dort zum Beispiel das Modell der Bastille
bewundern, behauen aus einem der Steinblöcke, die damals abgetragen wurden. Die
aus Originalstem nachgebildeten Bastille-Miniaturen erfreuten sich Ende des 18.
Jahrhunderts einer regen Nachfrage in den Départements der Provinz. Gleichsam
als Mahnmal der gestürzten Monarchie. Die meisten Steine aus der abgetragenen
Ruine wurden allerdings zum Bau der Concorde-Brücke verwendet, „auf daß das Volk Gelegenheit erhalte, die Reste der Tyrannei
täglich mit Füßen zu treten.“ Auch Schlüssel und allerlei Foltergerät ruhen
unter einer Glasvitrine. Und natürlich darf die Nachbildung der Guillotine
nicht fehlen, jenem halsabschneiderischen Hilfsmittel der Scharfrichter.
Bekanntlich ist dieses Blutgerüst dem erfindungsreichen Arzt Dr. Guillotin zu
verdanken. Weniger bekannt ist freilich, daß erst die solide Handwerkskunst des
deutschstämmigen Klavierbauers Tobias Schmidt dem Fallbeil jene technische
Finesse verlieh, die Tausende von Opfern der Revolution kopflos werden ließ.

    Überzeugte Royalisten mögen
klammheimlich Genugtuung darüber empfinden, daß schließlich auch der
revolutionäre Bösewicht Robespierre diesem Schicksal nicht entging. Eines der
Glanzstücke unter den im Carnavalet ausgestellten Dokumente ist sicher der
letzte Brief, den Robespierre unmittelbar vor seiner Verhaftung an die Kommune
schrieb und den ein Blutfleck ziert. Noch ehe Robespierre nämlich seine
Unterschrift unter das Schreiben setzen konnte, traf ihn der Schuß eines
Sergeanten, der ihn verhaften sollte.
    Weitaus friedlicher wirkt
dagegen der Frisiertisch der Marie-Antoinette, und auch Restbestände des
Tafelsilbers der königlichen Familie sind aus dem Gefängnis des Temple gerettet
worden, in dem Louis XVI. mit Frau und Kindern auf seine Aburteilung wartete.
Nur wenige hundert Meter vom Carnavalet entfernt ist im Hôtel de Soubise das
Nationalarchiv untergebracht. Mit Milliarden von Dokumenten, die kilometerlang
Regale füllen, ist es das wohl reichhaltigste Archiv der Welt. Unter den
Tagebuch-Notizen Ludwigs XVI. findet sich dabei am schicksalshaften Tag des 14.
Juli 1789 die voreilige Bemerkung rien, also: nichts. Das mag schadenfrohe Republikaner dazu bewogen haben zu
verschweigen, daß es sich
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