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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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    „Vielleicht hat Ihre Mutter die
größte Schuld. Völlig verdreht. Hat sich nie richtig um Sie gekümmert. Sie
gehören einer Generation an, die ich nicht gerade verdammt nennen möchte, aber
so ähnlich. Kinder dieser blutigen Schweinerei namens Krieg. Kinder des
Zusammenbruchs, der Auflösung aller Dinge. Kinder der Okkupation. Kinder der
Befreiung. Freiheit für jede Schweinerei. Ich stell mir vor, daß Sie erst seit
einem gewissen Tag oder Abend im November mit Cabirol geschlafen haben. Aber
Sie wußten sicher schon länger, daß Cabirol ein Gangster war. Sie waren seine
Komplizin. Cabirol brauchte eine Gießerei. Und Ihnen gehört zum Teil die
Gießerei Larchaut. Cabirol verscheuerte die goldene Hehlerware nicht, er ließ
sie einschmelzen. Deswegen tauchte der gestohlene Goldschmuck auch nirgendwo
wieder auf. Weniger Profit, aber Risiko gleich Null. Er ließ das Gold aber
nicht zu Barren schmelzen, sondern stellte daraus ganz goldige Parisartikel
her. Zum Beispiel diese nackte Tänzerin, deren Spitze Sie ihm ins Herz gestoßen
haben. Davon gibt’s Zehntausende, aber aus Kupfer. Bei Mareuil liegt auch eine
auf dem Schreibtisch. Ja, und Cabirol hatte Komplizen: Sie, die zukünftige
Besitzerin der Gießerei, und mindestens einen Arbeiter — ich brauch ja den
Namen Charles Sébastien nicht zu erwähnen. Und eines Abends kommt Jacquier
Ihnen auf die Schliche. Ich will nicht behaupten, daß Sie selbst ihn getötet
haben — aber Sie waren dabei...“
    Ihre Augen füllten sich mit
Tränen. Ihr Kehlkopf hüpfte erregt auf und ab. Ihr Kinn zitterte wie bei einer
alten Frau. Überhaupt sah sie plötzlich sehr alt und verbraucht aus.
    „Nein, ich glaub nicht, daß Sie
ihn...“
    Ihre tonlose Stimme klang weit
weg, kaum wiederzuerkennen.
    „Er hat sofort begriffen...
Ringe, Broschen, ein Tisch voller Gold... und wir am Schmelztiegel... Ich fiel
sofort in Ohnmacht...als ich wieder aufwachte, lag er tot auf dem Boden...
Cabirol hat mich in seine Wohnung gebracht... hat mich eingeschlossen und ist
wieder weggegangen...wiedergekommen... Sie hatten die Leiche in die Seine
geworfen... Ich wurde gezwungen, nichts zu sagen. Er konnte beweisen, daß ich
der Täter war... ich hab nie richtig begriffen, was in jener Nacht vorging...
nur daß ich mit ihm schlafen mußte... ich weiß noch, wie er sagte, so eine
Gelegenheit komme nie mehr wieder... er habe seit langem darauf gewartet
    In die Seine? Ins Wasser?
Moment mal! Wofür hat man denn einen Schmelzofen, der auf eine Temperatur von 1
700 Grad steigt? Wär man ja schön dumm. Cabirol war aber nicht dumm. Also hat
er die Leiche des lästigen Jacquier zerstückelt und verbrannt. Cabirol war
nicht verrückt, der andere ist es aber geworden. Charles Sébastien bekam von
der makabren Leichenbestattung einen Schock, eine Feuerphobie. Kurz darauf
verfiel er dem Wahnsinn.
    Hatte das Mädchen auch nur
einen Augenblick lang so was vermutet? Pah! Ich würde ihr nicht auf die Sprünge
helfen.
    „Na schön“, sagte ich laut.
„Nein, Sie waren’s nicht... Hoffe ich jedenfalls.“
    Ich stand auf.
    „Cabirol war ein Schwein. Nicht
wert, daß er lebte. Latuit hat einen armen harmlosen Spinner umgebracht. Vielleicht
war er auch selbst so was wie ein Opfer. Aber so viele Zwiebeln kann ich gar
nicht schälen, um mir eine einzige Träne für ihn abzudrücken. Der tut mir nicht
leid. Nur das mit Jacquier ging mir gegen den Strich. Aber den hat Cabirol wohl
alleine auf dem Gewissen. Bleibt nur noch Miss Pearl Ich nahm ihr Foto in die
Hand.
    „...Vielleicht wäre sie nicht
tot, wenn sie stärkere Nerven gehabt hätte. Dann hätte sie den Sprung nicht
verpatzt. Aber ihre Nerven waren zu schwach. Sie riet Mario davon ab, auf das
Geschäft einzugehen. Sie spürte, daß sich dahinter eine Schweinerei verbarg.
Und da machten ihre Nerven nicht mehr mit. Ohne Ihr Geld, Mademoiselle, wäre
sie noch am Leben... Na ja, geht mich nichts an. Sie können gehen.“
    Ich warf das Foto auf die
Schreibunterlage:
    „Ach ja! Da ist noch die Sache
von Samstag. Der Schlußpunkt. Ich wollte Latuit an einen abgelegenen Ort
locken, um mit ihm zu reden, mir von ihm meine Vermutungen bestätigen zu
lassen... vielleicht aber auch wegen was anderem... mir gingen nämlich auch
keine edlen Gedanken durch den Kopf... Ich weiß es nicht mehr...will’s auch gar
nicht mehr wissen...“
    Ich schwieg. Könnte ich jemals
die Erinnerung an diese unedlen Gedanken auslöschen? Etwa dadurch, daß ich die
fünfzigtausend
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