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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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aufgebaut. Ein bal-musette bei Léo
Malet: Chez Amédée, le valet de
carreau. Die
Bar, in der im Musikautomaten unablässig la valse des orgueilleux dudelte und Nestor Burma dem
mysteriösen Anrufer bei Cabirol auf die Schliche kam. Heute ist aus dem bal-musette ein Nachtklub
geworden, der sich le tango nennt, verwirrenderweise aber als eine der heißesten Adressen für
schwarzafrikanische Folklore gilt.
    Auf dem Rückweg zu den
eigentlichen Brennpunkten des Marais-Fiebers ist dem Burma-Spurensucher ein weiteres Erfolgserlebnis beschert. An der Ecke Rue du
Temple und Rue Pastourelle findet sich noch heute — wenn auch kein
Scherzartikelladen — ein Spielwarengeschäft. Nur trägt es nicht mehr den ihm
von Malet zugedachten altväterlichen Namen omnium de rire. Dem Neupariser Amerikanismus angepaßt
präsentiert es sich als Gift Center. Monsieur Mareuil, mittlerweile auch schon in die Jahre gekommen, wird sich wohl
längst aufs Altenteil zurückgezogen haben. Vergeblich habe ich in der Vitrine
nach den von ihm geschaffenen Pinguin-Figuren Ausschau gehalten. Massenware aus
Hongkong und Taiwan beherrscht die Auslagen.

    Manche der vielen Sträßchen und
Gassen in diesem Viertel sind so schmal, als habe man sie im nachhinein in dieses Häusergewirr hineingeschnitten. Dabei sind sie so alt, daß sie über
Jahrhunderte hinweg ihre wechselvolle Geschichte zu erzählen wüßten. Es waren
zum Teil nicht mehr als Zufahrtswege zu prachtvollen Stadtpalästen, die längst
der Spitzhacke zum Opfer gefallen sind. Aufgegeben und an Gewerbetreibende
verschachert, als das Marais im 18. Jahrhundert aus der Mode kam, als die
feinen Herrschaften sich neue Anwesen im Faubourg St. Honoré suchten oder auf
der anderen Seite der Seine, im Faubourg St. Germain, die bis heute bevorzugte
und sündhaft teure Wohnviertel blieben. Die Revolution vertrieb schließlich die
letzten Aristokraten aus dem Marais und dem sich anschließenden Temple-Bezirk.

    Dem Müßiggang folgte
geschäftiges Treiben in den großzügig angelegten Höfen. Die Paläste wurden zu
Hütten degradiert. Es wurde abgebaut und angebaut und zugebaut. Lagerhäuser
entstanden, Stapelplätze und Zollspeicher. Später dann, längst in unserem
Jahrhundert, als die kleinen Betriebe dem immer stärker werdenden
Konkurrenzdruck größerer Firmen nicht mehr standhielten und ihr Gewerbe
aufgaben, da drohte das Marais vollends zu verfallen. Erst de Gaulles
Kulturminister Malraux zog Anfang der 60er Jahre die Notbremse und stoppte den
bis dahin fast unkontrollierten architektonischen Wildwuchs. Seine Verfügung,
das Marais-Viertel unter Denkmalschutz zu stellen, hat sicher etliche
Stadtpaläste vor der endgültigen Zerstörung bewahrt. Fortan besannen sich die
Spekulanten auf die vornehme Tradition der Gegend. Heute sind viele der
Stadthäuser in luxuriöse Eigentumswohnungen aufgeteilt. Eine begehrte
Geldanlage für wohlhabende Provinznotablen vor allem.
    So flott kann die Konjunktur
jedoch nicht laufen, als daß nun das gesamte Marais, in gediegene
Appartement-Wohnungen aufgeteilt, die Blütezeit seiner jugendlichen Jahre
wiederfände.
    Da gibt es eben noch zum
Beispiel diese kleinen Gäßchen wie die Ruelle Sourdis an der Rue Chariot, die
längst sich selbst überlassen ist. Ein städtebaulicher Blinddarm, den man
wahrscheinlich nur deshalb noch nicht herausoperiert hat, weil er niemandem
wehtut. Fünfzig Meter Kopfsteinpflaster ohne jede Funktion stoßen auf eine
Mauer. Vor ein paar Jahren hat man den ohnehin leblosen Pfad mit einem
Eisengitter von der Öffentlichkeit ausgesperrt. Ein herrenloses Damenfahrrad
lehnt an der Wand einer Steinbaracke, in die ein verrostetes und kaum noch
lesbares Schild der Wach- und Schließgesellschaft eingeschraubt ist. Einziges
Lebenszeichen in diesem toten Winkel gibt ein kümmerlicher Fliederstrauch.
    In der Rue de Beauce, in die
kaum ein Lieferwagen hineinpaßt, öffnet sich unvermittelt ein Weg, der nach nur
wenigen Metern auf einen Markt führt: den Marché des Enfants-Rouges. Er trägt
seinen Namen nach einer Kinderklinik, in der den jungen Patienten früher rote
Kleider verpaßt wurden.
    Aber zurück in die Rue de la
Perle, wo die Spürnase Burmas weit erfolgreicher war als der ratlose Blick des
Nachwanderers rund drei Jahrzehnte später. Eine ganz und gar aufgeräumte
Straße, in der längst jeder Ofen einer Gießerei erkaltet ist. Auch der Gang um
die Ecke in die Rue de Thorigny läßt vermuten, daß Madame Jacquier das Weite
gesucht und
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