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Mansfield Park

Mansfield Park

Titel: Mansfield Park
Autoren: Jane Austen
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liebenswerten Wesen konnte wohl die Gegend und die Menschen, an die sie sich gewöhnt hatte, nicht ohne Bedauern verlassen; doch das gleiche glückliche Temperament bot die Gewähr, daß sie an jedem Ort und in jedem Kreis viel Erfreuliches finden würde – und vor allem konnte sie Mary wieder ein Heim bieten. Mary ihrerseits hatte genug von ihren eigenen Freunden, genug von aller Weltlichkeit und Eitelkeit, aller Liebe und Enttäuschung, die das letzte halbe Jahr ihr gebracht hatte, um dringend nach der aufrichtigen Herzensgüte und der ruhigen Vernunft ihrer Schwester zu verlangen. – Sie lebten zusammen; und als Dr. Grant sich mit Hilfe von drei großartigen offiziellen Banketten, die er im Lauf einer Woche bewältigte, einen Schlaganfall und den Tod geholt hatte, blieben die Schwestern weiterhin beisammen. Mary war zwar fest entschlossen, ihre Zuneigung nie wieder einem jüngeren Bruder zu schenken, aber sie brauchte sehr lange, um unter den schneidigen Gesellschaftslöwen oder müßig dahinlebenden Titelanwärtern, die sich von ihren Reizen und ihren zwanzigtausend Pfund angezogen fühlten, einen Mann zu finden, der ihre in Mansfield erworbenen höheren Ansprüche erfüllte, einen, dessen Charakter und Wesensart Hoffnung auf das häusliche Glück boten, das sie schätzen gelernt hatte; kurz gesagt, sie brauchte lange, um Edmund aus dem Kopf zu bringen.
    In dieser Hinsicht war Edmund in einer günstigeren Lage als sie. Er brauchte sich nicht erst lange nach einer würdigen Nachfolgerin für den freigewordenen Platz in seinem Herzen umzusehen. Kaum hatte er aufgehört, den Verlust Marys zu beklagen und Fanny immer wieder zu versichern, wie unmöglich es wäre, jemals wieder einer solchen Frau zu begegnen, als er sich zu fragen begann, ob nicht eine ganz anders geartete Frau genau so erstrebenswert – oder noch viel erstrebenswerter sein könnte; ob nicht gar Fanny und Fannys Lächeln und Fannys Wesen ihm so teuer geworden waren, wie Mary es einst gewesen – und ob es nicht ein denkbares, ja ein aussichtsreiches Unternehmen wäre, sie davon zu überzeugen, daß ihre warme schwesterliche Zuneigung zu ihm eine sichere Grundlage für eine andere Art der Liebe bilden könnte.
    Mit Absicht vermeide ich es hier, Daten zu nennen. Möge jeder sie nach seinem eigenen Belieben einsetzen, denn ich bin mir bewußt, daß die Überwindung unüberwindlicher Leidenschaft und der Wandel unwandelbarer Gefühle bei verschiedenen Menschen verschieden lange brauchen. – Ich ersuche nur jedermann, mir zu glauben, daß genau zu dem Zeitpunkt, zu dem es für ihn ganz natürlich war, und auch nicht eine Woche früher, Edmunds Liebe zu Mary erloschen war und sein Wunsch, Fanny zu heiraten, so mächtig wurde, wie Fanny selbst es nur wünschen konnte.
    Angesichts der Zuneigung, die er längst für sie empfand, einer Zuneigung, die sich anfänglich auf die liebenswürdigsten Ansprüche kindlicher Unschuld und Hilflosigkeit gründete und allmählich durch den immer deutlicher hervortretenden menschlichen Wert Fannys aufs schönste gerechtfertigt wurde, konnte nichts natürlicher sein als eine solche Wandlung. Er hatte sie seit ihrem zehnten Jahr geliebt, beschützt und geleitet – ihr ganzes Denken war in hohem Maß von ihm gemodelt, ihr Wohlsein hing von seiner liebevollen Fürsorge ab – sie war von jeher der Gegenstand seines zärtlichsten Interesses gewesen und, weil er ihr selbst so teuer war, teuerer als jeder andere Mensch in Mansfield: was brauchte es jetzt noch mehr, als daß er lernte, sanfte helle Augen blitzenden dunklen vorzuziehen? – Und da er ständig mit ihr zusammen war und so vertraulich mit ihr sprach und sich außerdem in dem empfänglichen Gemütszustand befand, der einer kürzlich erlebten Enttäuschung folgt, konnte es nicht lange dauern, bis die sanften hellen Augen den Sieg errangen. Als er erst einmal diesen Weg zum Glück betreten hatte und sich dessen bewußt geworden war, erhoben sich von Seiten der klugen Vorsicht keinerlei Hindernisse, um ihn aufzuhalten oder seinen Schritt zu verlangsamen: keine Zweifel, ob sie seiner wert sei, keine Befürchtungen, daß sie nicht harmonieren würden – und auch nicht die geringste Notwendigkeit, seine Glückshoffnungen auf die Verschiedenheit ihrer Temperamente zu gründen … Ihre Art zu denken, ihr Charakter, ihre Anschauungen zwangen ihn zu keinem verschämten Kompromiß; er brauchte sich nicht stündlich selbst zu täuschen und sich nicht vorzugaukeln, daß die
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