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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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anfange, die Balance zu verlieren, kommt sie noch näher.
    »Liz, du darfst es niemandem erzählen. Damit würdest du alles kaputtmachen. Du würdest dich in Schwierigkeiten bringen.« Sie schluckt. »Du würdest mich in Schwierigkeiten bringen. Das ist nicht fair.«
    »Aber ich muss es jemandem sagen. Ich werde es Mr. Riley sagen. Er wird mir helfen, er wird es verstehen. Josie, ich kann damit nicht mehr leben. Ich habe das Gefühl, es bringt mich um, dieses Geheimnis zu bewahren.«
    Ich taumle rückwärts, verzweifelt bemüht, meinen Stand zu wahren, und die Kante meines Stiefels verfängt sich seitlich am Pier. Ich strecke Josie meine Arme entgegen, versuche, mich an ihr festzuhalten.
    Sie sieht mich einen Moment lang an, der mir wie eine Ewigkeit vorkommt, obwohl er bloß wenige Sekunden währt. Sie unternimmt nichts.
    Ich stürze ins Wasser. Einen Moment lang verschwindet mein ganzer Körper. Dann tauche ich wieder auf, platsche lautstark umher und schreie sie an, mir zu helfen.
    Zu dieser Jahreszeit ist das Wasser nachts eiskalt, zweifellos kalt genug, um mich schlagartig wieder nüchtern werden zu lassen. Ich schlage noch einige weitere Sekunden um mich, versuche, mich an der Kante des Piers festzuhalten, mich hochzuziehen. Meine Stiefschwester starrt mich bloß an, schaut zu, denkt nach. Trifft eine Entscheidung.
    Dann geht sie auf die Knie. Sie streckt ihre Arme aus, als wolle sie mich in Sicherheit ziehen, und einen Moment lang zeigt sich Erleichterung auf meinem Gesicht, als ich die Hände nach ihr ausstrecke, dankbar für ihre Hilfe.
    Josie legt mir eine Hand auf die Schulter und die andere oben auf meinen Kopf. Sie stößt mich unter Wasser. Sie schweigt, Tränen quellen aus ihren Augen, doch sie hat einen Ausdruck stählerner Entschlossenheit auf dem Gesicht.
    Sie drückt mich sehr lange unter Wasser. Irgendwann muss ich Luft holen. Während ich zusehe, was geschieht, erinnere ich mich so deutlich an alles. Fast ist es, als würde ich alles noch einmal durchleben. Wasser in meiner Lunge, in meiner Nase, überall. Es brennt so grässlich, mein Mund ist unter Wasser zu einem stummen Schrei aufgerissen, vor meinen Augen wird die ganze Welt schwarz.
    Heute, am Vorabend meines achtzehnten Geburtstags, sterbe ich.
    Josie erhebt sich. Sie trägt ein ärmelloses Hemd und Jeansshorts, so dass sie kaum nass geworden ist. Ihre Arme sind gerötet von dem kalten Wasser. Sie geht ins Boot, ins Badezimmer, und trocknet sich rasch ab. Sie starrt ihre eigene Reflexion im Spiegel an und nimmt viele lange, tiefe Atemzüge, bevor sie das Bad wieder verlässt, die Lichter auf dem Boot löscht und unter die Decke auf einem der Betten schlüpft.
    Dort liegt sie eine Weile mit weit geöffneten Augen und schaut zur Decke des Bootes empor. Dann, bloß wenige Minuten, bevor ich offiziell achtzehn Jahre alt geworden wäre, schläft meine Stiefschwester ein.
     
    Als ich meine Augen öffne und Richie ansehe, erkenne ich sofort, dass er begriffen hat, was los ist. Er hat vielleicht nicht alles gesehen, was ich gesehen habe, aber er hat mich gespürt. Er weiß Bescheid.
    »Du«, flüstert er, springt auf die Füße und weicht langsam vor Josie zurück. »Du hast meine Liz umgebracht.«
    Josie legt einen einzelnen Zeigefinger auf ihre geschlossenen Lippen. Sie sagt nichts.
    »Warum hast du das getan?«, fragt Richie, immer noch flüsternd. »Warum musstest du ihr das antun?«
    »Sie hatte alles.« Josies Stimme ist so ruhig, dass selbst ich Angst bekomme. »Sie war wunderschön. Sie hatte dich. Und sie hatte unseren Vater. Jeder weiß, dass ich seine Tochter bin, jeder . Aber er hat es nie zugegeben. Selbst meine Mom hat mir gesagt, dass es stimmt. Doch immer bekam Liz die ganze Aufmerksamkeit. Liz war die Hübschere. Liz war die Königin der Schule. Für sie war alles so einfach. So leicht war es für mich nie. Sie hatte alles, Richie. Sie hatte alles, obwohl sie es nicht verdient hatte.«
    Während sie spricht, wird ihre Stimme zunehmend lauter, gewinnt mit jedem Wort an Überzeugung. »Du wusstest ja kaum, dass es mich gibt, bevor du dahinterkamst, dass sie dich betrügt. Vielleicht hat sie dich nicht richtig betrogen, aber es war fast dasselbe. Richie, ich hätte dir das nicht angetan! Verstehst du das? Das Leben folgt einem bestimmten Muster. Liz war wie ihre Mutter. Ich bin wie meine Mutter. Du bist wie mein Vater. Erkennst du das denn nicht? Wir sind füreinander bestimmt.«
    Richie sieht sich um, als würde er nach einem
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