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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Autoren: Monika Gruber
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werden.
    Manchmal machten wir auch sonntags eine kleine Runde mit unseren Fahrrädern über die Felder, weil der Babba schauen wollte, »wie die Gerstn steht und ob in die Zuckerrüben ned an Haufen Disteln drin san«. Aber vormittags, in die Kirche, die nur zwei Kilometer entfernt war, da fuhr man mit dem Auto, schließlich wollte man weder die frisch geföhnte Frisur noch das schöne Feiertagsgewand ramponieren.
    In München dagegen fuhr anscheinend jeder mit dem Fahrrad. Zumindest am Sonntag. Die Autofahrer stammten allesamt aus dem Umland wie wir. Hauptsächlich sah man folgende Autonummern, für die wir Kinder uns die passenden Ausschreibungen ausdachten: FFB (Fünf Flaschen Bier), DAH (Die Amsel hustet), GAP (Ganz arme Penner), EBE (Ein bisserl Einbahnstraße). Mein Vater schuckelte die Leopoldstraße hinunter, vorbei an Eisdielen, Cafés und Bars mit coolen Namen in Richtung Siegestor und Universität, über die er fast ein wenig feierlich sagte: »Da gehen nur die ganz Gscheiden hin, die Gstudierten!« Sowohl das mächtige Gebäude mit dem gewaltigen Brunnen davor als auch die Tatsache, dass es in München unfassbar viele »gscheide Leut’« geben musste, imponierten uns mächtig. Dann weiter in die Brienner Straße mit dem Nymphenburger-Porzellan-Geschäft (»Kinder, da wenns ihr an Teller zammhauts, der kost’ so viel wie unser Bulldog!«), mit ihren feinen Läden und Kunstgalerien in Richtung Königsplatz, wo der Babba nur meinte: »Des hat alles der Hitler gebaut.« Aha. Bei uns auf dem Hof baute immer alles der Käsmaier Erich aus Thalheim, aber der hatte eh schon so viel Arbeit, und München war auch ganz schön weit weg, sodass die Münchner eben andere Baufirmen hatten, zum Beispiel diese Firma Hitler.
    Wenn wir auf der Donnersberger Brücke waren, fuhr er immer ein bisschen langsamer, damit wir sehen konnten, wie die Züge in den Hauptbahnhof ein- und ausfuhren: »Kinder, schauts die langen Züge an!« Und wir taten, wie uns befohlen, denn es konnte nicht mehr lange dauern, und unsere Geduld würde vielleicht mit einem Eis belohnt werden.
    Wenn wir die Maximilianstraße mit ihren Luxusgeschäften fast im Schritttempo entlangkrochen (und dabei ständig von den Taxlern angehupt wurden, wovon sich mein Vater überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ), damit wir besser in die Schaufenster der edlen Geschäfte schauen konnten, dann meinte der Babba nur: »Des is’ nur was für die ganz Noblen, so wie die Oper vorn. Des is’ nur was für feine Leut’.« Damit war klar: Das war alles nichts für uns, aber anschauen durfte man die prachtvollen, beleuchteten Auslagen und die luxuriösen Autos, die vor dem Hotel Vier Jahreszeiten parkten, auch wenn man nicht zu den feinen Leuten gehörte.
    Während also die Stadtbevölkerung am Wochenende aufs Land fuhr, um Seen, Berge und Almhütten zu bestaunen, brachen wir Kinder beim Anblick der Münchner Großmarkthalle und des Schlachthofes in begeisterte »Ahs« und »Uihs« aus, bevor wir dann schlussendlich vor der Heimfahrt in irgendeinem Gasthof einkehrten. Bevor wir über die Schwelle des Wirtshauses traten, stellte die Mama kurz sicher, dass sie sich mit uns nicht würde blamieren müssen: »Gell, und ihr seids brav und sagts schön Grüß Gott, bitte und danke, weil sonst bleibts das nächste Mal daheim!« Da diese Ausflüge eher selten waren und wir Kinder uns die Chance auf Würschtl mit Pommes und danach ein Eis nicht verbauen wollten, hockten wir brav und schweigsam auf unserem Hosenboden, und wenn wir die Mama etwas fragen wollten, dann flüsterten wir ihr das ins Ohr.
    Einmal schüttete mein Bruder Seppi aus Versehen sein Limo über die Tischdecke und war darüber so bestürzt, dass er sofort zu weinen anfing und erst durch die tröstenden Worte unserer Mama zu beruhigen war. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass Kinder, die sich so schlecht benehmen, erst aus dem Lokal geworfen und anschließend zur Adoption freigegeben würden.
    Viele Jahre später, als ich immer am Sonntagmittag beim Alten Wirt in Goldach kellnerte und junge Mütter mit ihren Monsterkinderwägen den Kücheneingang blockierten und stolz schweigend ihren Ablegern dabei zuschauten, wie diese sich gegenseitig am Tisch mit Spätzle bewarfen oder zwischen den Tischen Fangen spielten, dachte ich oft daran zurück, wie die Leute früher ihre Kinder erzogen hatten. Ich habe einmal in einem meiner Programme gesagt, dass ich nach solchen Kellnertagen heimfuhr und eine ganze Schachtel
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