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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Autoren: Monika Gruber
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möchten?«
    »Kabarett? Äh, nein, Frau Behrmann. Ich möchte eigentlich Schauspielerin werden.«
    »Sie sollten aber das Thema Kabarett im Hinterkopf behalten. Und deshalb hätte ich gerne, dass Sie uns nach jedem Trimester neben den einstudierten Rollen auch jedes Mal etwas von Ihnen selbst Geschriebenes vorspielen. Fünf bis zehn Minuten. In Ordnung?«
    »In Ordnung.«
    Ich weiß nicht mehr, ob ich Hände schüttelte und mich bei allen im Gremium bedankte oder einfach nur verabschiedete. Ich war wie in Trance. Ich war eine Schauspielschülerin. Also, noch nicht ganz, aber ganz bald.
    Was würden meine Freundinnen sagen, die alle nicht einmal von dem Vorsprechen wussten? Alle bis auf Kim, meine ehemalige Arbeitskollegin und Freundin, die mir ständig in den Ohren lag, ich solle doch den Absprung schaffen, bevor es zu spät sei.
    Was würden meine Brüder sagen? (»Spinnst jetzt?«) Und meine Eltern? Wahrscheinlich erst einmal gar nichts. Bis sie sich von dem ersten Schock erholt hätten. Und der Schock war tatsächlich groß: Wir saßen bei meinen Eltern im Wohnzimmer und schauten fern, als ich eine Werbepause dazu benutzte, ihnen zu erklären, dass ich meine Stellung gekündigt, einen Platz bei einer privaten Schauspielschule ergattert hatte und die nächsten zweieinhalb Jahre vom Kellnern leben würde, um die Schule, meine Wohnung und die Krankenversicherung weiterhin finanzieren zu können. Laut ausgesprochen klang es nun auch für mich wenig nach Erfolgsstory, sondern eher nach dem gescheiterten Lebensentwurf eines grenzdebilen Träumers. Oder nach einem mittleren Desaster. Denn wenn ich an das Gesicht meiner Mutter denke, dann erinnere ich mich noch heute an diese Mischung aus Ungläubigkeit, Enttäuschung und Panik in ihren Augen. Die Reaktion wäre wohl dieselbe gewesen, wenn ich ihr gestanden hätte, dass ich meine Eigentumswohnung, meine Lebensversicherung und mein Auto verzockt und deshalb beschlossen hatte, ab morgen auf den Strich zu gehen, nebenbei noch für einen Kerl namens Miro mit Drogen zu dealen und mit ihm in einem schäbigen Wohnwagen irgendwo neben der Autobahn in Ramersdorf zu hausen. Ich glaube, sie fing, drei Sekunden nachdem ich die Bombe hatte platzen lassen, zu weinen an. Und hörte längere Zeit nicht mehr auf.
    Mein Vater starrte mich fassungslos an und sagte nur: »Spinnst jetzt?«
    »Naa, Babba, aber ich muss des probieren!«
    »Ja, aber – warum?«
    »Weil … weil des schon immer mein Lebenstraum war!«
    »Ja aber, Schauspieler?! Davon kann man doch ned leben?«
    »Mei, des weißt du doch ned.«
    »Aber du?«
    »Des werden mir dann scho sehen! Des muss ma ausprobieren.«
    »Die ham doch da ned auf dich gwart’!«
    »Doch, Babba, die ham auf mich gwart’, weil so was wie mich ham die noch nie gsehen!«
    Kurzes Innehalten meines Vaters mit ungläubigem Blick auf meine Mutter, dann: »Unser Dirndl spinnt. Die spinnt!«
    Das dachten sie wohl auch noch die nächsten Jahre, als ich bis zu sechs Tage die Woche abends und immer sonntagmittags kellnerte und fast gar nicht mehr nach Hause kam, weil ich entweder in der Schule oder beim Arbeiten.
    Und ich erzählte auch nicht alles, was ich in der Schule so erlebte: Wir hatten eine geniale, aber sehr strenge Sprechlehrerin, Astrid von Jenny. Als ich ihr zum ersten Mal einen Absatz aus irgendeinem beliebigen Text vorlesen sollte, damit sie meine Stimme beurteilen konnte, war ihr Urteil ernüchternd bis vernichtend: »Mein Gott, eine Stimme wie ein Reibeisen. Und ob wir das rollende R rausbekommen, in Ihrem Alter, tja, das wird schwer bis nahezu unmöglich.« Ich war geschockt. Aber fleißig. Ich übte und übte. Atemübungen, Satzfragmente, die es immer und immer wieder zu wiederholen galt, bis man die richtige Technik halbwegs draufhatte. Frau von Jenny war, wie gesagt, sehr streng, aber Fleiß und Disziplin imponierten ihr und wurden belohnt. Und nach einem Jahr glaubte ich zu spüren, dass sie mich sogar mochte.
    Sie übte oft auf sehr, na ja, unkonventionelle Art mit uns: »Sie müssen die Worte ausscheiden. Also, stellen Sie sich hin, und sprechen Sie mir nach … locker lassen … den Bauch, den Schließmuskel … ganz locker lassen! Und sprechen Sie mir nach: ›Pissen, Furzen, Scheißen.‹ Und noch mal von vorn … Und locker lassen! Und spüren Sie schon was?«
    (»Ja. Ich muss aufs Klo!«)
    Wie hätte ich so etwas meiner Mutter erklären sollen, wenn sie mich gefragt hätte: »Und? Was habts ’n Schönes gelernt?«
    »Äh, ja,
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