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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
Autoren: Annette Pehnt
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Zimmer ein Licht blinkt, und nun höre ich auch den schrillen Signalton, die Schwester sucht den Stein nicht, sie lässt mich dort stehen und verschwindet in das andere Zimmer, und ich kehre zurück zu meinem Bruder, der die Stirn auf die Schulter unserer Mutter gelegt hat und von Steinen nichts hören will.

    Ich bin bei der Arbeit, und noch keiner hat mich gefragt. Es weiß ja auch keiner, wonach er fragen könnte. Es gibt für niemanden eine Möglichkeit zu fragen. Ich bin auch heilfroh, dass niemand fragt. Ich unterrichte meine Kurse, drei nacheinander, ich habe vorher zwei Tassen Espresso getrunken, ich habe mich kalt geduscht, ich habe mich schön angezogen, ganz in Grün. Wie ein Jäger, würde meine Mutter sagen, die grün hasste, sie trug immer nur Schwarz, Grau und Weiß, und wer soll nun ihre Sachen tragen, was mache ich mit ihren Sachen, ich muss mich darum kümmern, wenn diese Woche vorbei ist, wenn die Beerdigung vorbei ist, oder danach vielleicht. Keiner fragt, und ich spüre ein Beben in der Luftröhre, keiner merkt das, sprechen kann ich ja wie immer, obwohl ich es eigentlich aufgeben möchte. Also rede ich, und die Schüler reden, wir wechseln uns ab, eigentlich ist es ein hübsches Konzert, das manchmal zu laut wird und sich manchmal im Tempo sehr verlangsamt, und einmal gibt es sogar ein Schweigen, das sich im Raum ausdehnt und weitet, und ich stehe nur da und schließe die Augen, die sich wund anfühlen und weniger brennen, wenn man sie schließt, die Schüler schauen verlegen auf die Pulte, und als manche anfangen zu flüstern und zu mir hin zu nicken, wie ich da stehe ganz in Grün mit geschlossenen Augen, da sage ich irgendetwas, und die Schüler atmen auf und bewegen sich auf ihren Stühlen, und auch ich bewege mich mit kleinen Schritten, als könnte ich ausrutschen.
    Auch mein Bruder ist bei der Arbeit, gleich am nächsten Morgen ist er wieder hingegangen, ich weiß nicht, sage ich, findest du das in Ordnung, gleich wieder in den Alltag einzusteigen, ich meine, man muss der Trauer ja auch Raum geben. Er schweigt, und da erst fällt mir ein, dass ich auch gerade von der Arbeit komme, und ich muss lachen. Er lacht auch ein wenig, aber es sieht aus, als sei er nicht mehr in Übung, und er hört auch gleich wieder auf. Er geht dann noch ins Rückenstudio, er hat einen kaputten Rücken, wie ich, wir könnten Zwillinge sein, mein Bruder und ich, und vielleicht sind wir es auch. Du kannst für mich mitgehen, sage ich, es wäre auch wirklich gut, weil meine Wirbelsäule sich anfühlt, als hätte sie jemand unten am Steißbein noch mehr gebogen, als die Natur gestattet, und dieses umgebogene Stück brenne nun unten im Rücken vor sich hin. Das musst du schon allein machen, sagt mein Bruder gewichtig, und es klingt so ernst, als redete er gar nicht von meinem Rücken. Ich muss also auch bald etwas unternehmen gegen dieses Brennen, aber es brennt so viel in mir, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, ein dunkles Glühen durchzieht mein Atmen, Gehen, Laufen, Essen, Arbeiten, das sich manchmal anfühlt wie Heimweh, dann wie Sehnsucht oder wie Liebesschmerz, und es ist zugleich alles drei.
    Ich gehe zu meinem Geliebten, der mir gemailt hat, ich könnte kommen, wann immer es gut für mich sei, er sei immer immer für mich da, aber ich war gestern schon einmal da, und wer war nicht da? Und auch heute muss ich fünfmal klingeln, ich nehme ihm das übel, ich bin nachtragend, weil ich nichts vergessen kann, so dass alles, was mir jemand antut oder vergisst anzutun, in mir vermerkt ist, und eine der Erlösungen, die ein Engel mir schenken könnte, wäre ein völliger Stromausfall, der alles für immer auslöscht.
    Du hast gesagt, du wärst immer da, sage ich weinerlich, gleich als er öffnet, und will, dass er mir die Hand aufs Haar legt und mich ins Wohnzimmer führt, meine Mutter ist gestorben, sage ich gleich noch dazu, obwohl er es ja längst weiß, und ich möchte in Tränen ausbrechen, dann weiß er, was zu tun ist, ich habe schon oft bei ihm geweint, manchmal sogar absichtlich. Aber diesmal will es nicht gelingen. Erzähl mal, sagt er, und es ist unpassend, wie er das sagt, es klingt, als sollte ich von den Ferien erzählen oder von der Arbeit. Ich schweige und strecke mich auf seinem Sofa lang aus, aber nicht, als wollte ich mich ausruhen bei ihm, sondern wie
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