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Man Down

Man Down

Titel: Man Down
Autoren: André Pilz
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zu wenig gelacht zu haben.“
    „Du redest wie diese Nutte Coelho.“
    „Nein, ich red wie die alte Nutte Shane. Und die weiß, was dir fehlt. Ne Muschi. Du brauchst ganz dringend ne Muschi. Ich muss dir eine besorgen, sonst gehst du mir kaputt, und das kann ich nicht zulassen. Bist du doch mein bester Kumpel.“
    Ich ging zurück in mein Zimmer, während Shane sich im Klo ne Prise Koks ins Hirn blies. Burcak, die in jenen Tagen an Shane klebte, als wäre sie sein Bodyguard (ich ahnte längst, dass sie scharf auf ihn war), empfing mich mit einem Brief in der Hand. Sie wedelte mit dem Kuvert vor ihrem Kinn, als wäre es ein Fächer.
    „An Florian Samweber, Fischnalerstraße 22, 6020 Innsbruck, Österreich.“
    „Mein Stiefbruder.“
    „Du schreibst ihm jede Woche einen Brief“, sagte Burcak, die so dunkle Augen hatte, dass ich ihrem Blick nie lange standhalten konnte. Diese Augen hatten Voodookräfte. Die konnten dich verhexen, die Augen, und ich fragte mich, warum sie das mit Shane nicht längst getan hatten. „Du schreibst ihm jede Woche einen Brief, aber er schreibt dir nie.“
    „ …“
    „Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?“
    „Wen?“
    „Deinen Stiefbruder!“
    „Vor zehn Jahren.“
    „Vor zehn Jahren?“
    „Er war elf, ich fünfzehn.“
    „Aber er lebt doch in Innsbruck! Da bist du in zwei Stunden mit dem Zug.“
    „Mit jedem Tag, der vergeht, fällt es schwerer, in den Zug zu steigen.“
    Burcaks Ohrringe klimperten. „Warum schreibt ihr euch keine E-Mails?“
    „Ich hab kein Internet mehr.“
    „Du hast kein Internet?“, fragte Burcak und sah mich halb belustigt, halb mitleidig an. „Aber Shane hat Internet.“
    „Ich habe meine Mailadresse gelöscht.“
    „Wie kann man ohne Internet leben?“
    Ich zuckte mit den Schultern.
    „Ich richte dir eine neue Mailadresse ein“, sagte Burcak und sah mich an, als wäre ich die ärmste Sau der Welt.
    Eine halbe Stunde später waren Burcak und Shane verschwunden und ich lag alleine in meiner Bude auf meiner kaputten Matratze. Ich starrte an die Zimmerdecke und hörte die Autos vorbeirauschen, die Autos und die Lkws, die Mofas und die Motorräder, hörte sie hupen und bremsen und Gas geben, hörte Kavalierstarts und untertouriges Fahren, aufgemotzte Karren und abgesägte Auspuffe.
    Ich kann nicht schlafen, Florian. Es ist drei Uhr in der Nacht und ich kann nicht schlafen. Mein Rücken schmerzt. Die Nachbarn sind so laut. Sie feiern eine Party. Sie feiern jede Nacht. Saufen, Raufen, Fressen, Ficken. Hartz IV bis zum Tod. Nie mehr arbeiten! Nie mehr einen Finger krumm machen. Der Bass lässt meine Fensterscheiben vibrieren, sie grölen und poltern, sie machen Party bis morgen früh. Und ich liege da und kann nicht schlafen. Und ich liege da und habe Angst. Ich habe Angst vor allem und jedem. Vor dem Atmen, dem Träumen, meinen Gedanken, meinen Gefühlen, vor dem Morgen. Ich habe Angst, dass mir wer den Strom abdreht oder das Wasser oder dass ich für Jahre auf einem Schuldenberg sitzen muss und die Zinsen mich auffressen. Ich habe Angst, dass ein islamistischer Selbstmordattentäter die U-Bahn in die Luft jagt und die Bombe mir die Beine wegreißt oder die Nägel mein Gesicht zerfetzen.
    Florian, ich habe manchmal solche Angst, dass ich mir wünsche, ich wäre tot, damit die Angst ein Ende hat. Damit nur diese verdammte Angst ein Ende hat.
    ***
    „Muss mit dir reden“, sagte Burcak und fuhr sich mit den Händen nervös durchs Haar.
    „Über Shane?“
    „Über deine Schulden.“
    Ich betrachtete meine Handflächen. Früher hatte ich immer Blasen und Schwielen gehabt, kaputte Nägel, Striemen. Jetzt hatte ich Hände wie ein Bankangestellter.
    „Wie viel kriegen die Gangster von dir?“
    „Sagt dir Shane eigentlich auch, dass ich zu viel wichse?“
    „Wie viel schuldest du Öcal und Ugi?“
    „Es ist nicht so dramatisch, Burcak.“
    „Wie viel?“
    „Ey, Burcak …“
    „Shanes Brüder sind Teufel“, sagte sie und machte mit ihren Zeigefingern Hörner an die Stirn.
    „Du kennst sie?“
    „Ich habe genug gehört, um zu wissen, was läuft. Die verleihen Geld nie ohne Hintergedanken.“
    „Wer tut das schon?“
    „Sie lassen ihre Schuldner für sich arbeiten. Sie lassen ihre Schuldner die Drecksarbeit machen. Und wenn was schief läuft, sind sie fein raus.“
    „Ich krieg das auf die Reihe mit der Kohle, keine Angst.“
    „Du hast das Geld bis zum Ersten beisammen?“
    „Wenn die Firma zahlt und ich die Miete für einen Monat
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