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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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noch kühl, aber der blaue Himmel deutet auf einen heißen Tag hin. Der kurze Berufsverkehr kommt gerade ins Rollen. Die Pendler fahren in die umliegenden Städte zur Arbeit. Das Klappern der Gullydeckel unter ihren Reifen, das Dröhnen der Automotoren in der Häuserschlucht – alles scheint mir so vertraut. Krähen umkreisen den Kirchturm. Kinder, kleiner als ich, mit Tornistern so groß wie Schrankkoffer, ziehen in Gruppen an mir vorbei. Ich untersuche meinen Rucksack.
Schwarz, großer Adidas-Schriftzug. Darin eine Capri-Sonne, Milchschnitte, Portemonnaie mit Klettverschluss, ein Walkman
. Ich entscheide, dass die Szene mit Soundtrack bestimmt noch überwältigender wird, setze die Kopfhörer auf und drücke
Play
.
    St. Elmo’s Fire
von John Parr. Jawohl.
    Growin’ up
    You don’t see the writin’ on the wall.
    Ich reihe mich in die Karawane der Schulkinder ein.
    Passin’ by
    Movin’ straight ahead you knew it all.
    Es geht vorbei am Modestübchen. Ich sehe T-Shirts im Fenster, die meine Mutter mir kaufen wird.
    But maybe sometime if you feel the pain.
    Ich wandere entlang der neuen Doppelhäuser, wo einst die Pusteblumenwiese war.
    You’ll find you’re all alone
    Everything has changed.
    Vorbei am Kindergarten, wo ich mir an dem schweren Steinkreuz mal die Schulter geprellt habe.
    Play the game.
    Die Pferdekoppeln hinter der Metzgerei.
    You know you can’t quit until it’s won.
    Das alte Krankenhaus, wo mein Bruder geboren wurde.
    Soldier on
    Only you can do what must be done.
    Der Kiosk neben der Grundschule, den wir nur „das Büdchen“ nennen. Hier gibt es zwei Wassereis für fünfundzwanzig Pfennig.
    You know in some way
    You’re a lot like me.
    Das Haus des Rektors mit dem gepflegten Vorgarten.
    You’re just a prisoner
    And you’re tryin’ to break free.
    Und dann meine alte Schule. Sie sieht aus wie die
Mondbasis Alpha 1
. Oder wie eine Burg aus hellen Betonplatten mit Flachdach, aus dem vereinzelt Schornsteine wie Türme in die Höhe ragen. L-förmig umschließt sie den Schulhof. Der wird an einer Seite begrenzt durch die Rückseite der Turnhalle, einer Wand aus Glasbausteinen. Zur anderen Seite blickt man über eine Wiese und Felder bis zu den fernen Bahngleisen.
    Take me where my future’s lyin’
    St. Elmo’s Fire.
    Ich stehe noch da, lausche dem Refrain, und traue mich nicht durch das Metalltor auf den belebten Schulhof, als mir jemand in den Hintern tritt. Ich drehe mich, um den Angreifer zur Rede zu stellen – doch mir bleibt die Spucke weg. Es ist Klaus. Er sitzt auf seinem BMX-Rad und hält sich mit einem Arm am Torpfosten fest. Dass ich ihn mit offenem Mund bestaune, als wäre er ein Gespenst, scheint ihm völlig zu entgehen. Klaus sieht aus wie
Alfred E. Neumann aus den MAD-Comics
, aber alle Mädchen finden ihn süß. Sommersprossen, blaue Augen, dunkle Locken. Ich kenne niemanden sonst, der sich den Saum seiner Sweatshirts in die Jeans stopft. Seine Sporttasche trägt er auf dem Rücken wie einen sehr großen Rucksack. Wir haben uns fast dreißig Jahre nicht gesehen. Nein, das stimmt nicht. Richtig ist, i
ch habe ihn
fast dreißig Jahre nicht gesehen. Er mich wahrscheinlich gestern noch. Klaus ist ein guter Fußballer, ein schlechter Schüler und grinst ständig wie ein Honigkuchenpferd. Jetzt auch. Ich nehme die Kopfhörer ab. Scharen von Schülern ziehen an uns vorbei. Manche grüßen, und ich grüße zurück.
    „ Überlegst du, ob du wieder abhaust?“, lacht Klaus.
    „ Quatsch!“, erwidere ich angestrengt locker.
    „ Möchtest du nicht die süßen Tierchen im Zoo sehen?“
    Er lacht über seine schlecht imitierte Babysprache.
    Ich grinse gequält. Klaus ist schon in Ordnung, aber ich habe keine Ahnung, was ich zu ihm sagen soll. Er stößt sich vom Torpfosten ab und rollt mitten durch eine Gruppe von Fünftklässlern in Richtung Straße. Das erscheint mir recht unnötig. Jemand ruft meinen Namen. Suchend blicke ich mich um.
    „ Da ist der Dicke“, sagt Klaus, und hält an.
    Der Dicke? Martin? Tatsächlich!
    Martin kommt auf mich zu, zwei Krücken in den Händen, die er lässig mit einem scharrenden Geräusch über den Gehweg hinter sich her schleift. Er hat irgendeine Art Wachstumsstörung. Was immer das sein mag, er ist trotzdem einen Kopf größer als ich. Martin trägt eine pastellfarbene Jeans von
Vanilia
. Nur ich weiß, dass man sich für so was in naher Zukunft schämen wird. Dazu ein weißes Polohemd. Und er hat im Gegensatz zu mir eine Frisur – einen
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