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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich
Autoren: Georges Simenon
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habe von anderer Seite erfahren, daß Mademoiselle Prieur, die eine wichtige Rolle in der Sache gespielt hat, einem Klub in der Avenue de la Grande Armee angehört. Im Register dieses Klubs habe ich als Bürgen des jungen Mädchens Ihren Chef gefunden, und ich wollte ihn mir einmal genauer ansehen…«
    »Das kann man einfach nicht glauben.«
    Sie zweifelte nicht an Maigrets Worten, sondern war verblüfft über die seltsamen Wege des Schicksals.
    »Dr. Mélan hätte das Spiel mitspielen, mir einen Zahn ziehen oder plombieren können, der völlig gesund war. Statt dessen hat er mir ehrlich erklärt, daß meine Zähne gesund sind, und hat mich dann, ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Frage zu stellen, zur Tür begleitet.«
    »Er hatte Angst. Er lebt seit mehreren Wochen in ständiger Angst.«
    »Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?«
    »Nein, aber ich kenne ihn gut genug, um es zu wissen… Carola auch.«
    »Das Mädchen? Ist sie seine Geliebte?«
    »Er hat keine Geliebte. Carola schläft in einer Mansarde nach hinten hinaus, obwohl genügend unbenutzte Zimmer vorhanden sind.«
    »Verstehen Sie, warum ich hier bin?«
    »Um mich zu verhören.«
    »Nicht eigentlich, denn ich weiß nicht einmal, welche Fragen ich Ihnen stellen soll. Ich möchte Ihnen gegenüber ganz offen sein. Wie ich schon sagte, bin ich ohne jede Vollmacht. Ich habe auch keinerlei Gewißheit, und meine Hypothesen sind ziemlich vage.
    Niemand hat die Verschwörung anzetteln können, deren Opfer ich geworden bin, ohne ein wesentliches Interesse daran zu haben – es sei denn, er haßt mich persönlich.
    Aber Dr. Mélan kennt mich vielleicht dem Namen nach. Bis heute vormittag war er mir jedoch noch nie begegnet.
    Als er meine Inspektoren in der Straße sah und mich dann in der Wohnung gegenüber, wurde er von einer panischen Angst gepackt. Warum? Und welches wichtige Interesse hatte er daran, mich auszubooten?
    Davon bin ich ausgegangen. Was hätte ich entdecken können, das triftig genug war, um sein Verhalten zu erklären?
    Auch hier wieder hat der Zufall mitgespielt. Aline, Manuels Geliebte, hatte zum erstenmal in ihrem Leben Zahnschmerzen, und natürlich ist sie zu dem Zahnarzt gegenüber gegangen.
    Sie ist vielleicht nicht intelligent, aber sie hat eine Intuition, wie man sie selten findet. Sie ist ein Weibchen, im wahrsten Sinn des Wortes.
    Mélan hat ihr zwei Fragen zuviel gestellt, oder vielmehr glaube ich mich zu erinnern, Sie haben sie ihr als erste gestellt.
    ›Wer hat Sie hergeschickt?‹
    Das ist eine Frage, die ein Zahnarzt oder eine Sekretärin selten einer Patientin stellen.
    Die zweite:
    ›Leiden Sie nicht an etwas anderem?‹
    Die Fragen sind Aline so wenig geheuer vorgekommen, daß sie begann, darüber nachzudenken. Sie hat sich an das Licht erinnert, das sie oft abends im Sprechzimmer sah. Als ich sie gefragt habe, hat sie mir geantwortet, daß nach Einbruch der Dunkelheit kein Mann, sondern nur Frauen an der Tür klingelten.«
    »Abends war ich nicht da.«
    »Ich weiß. Aber Sie wissen doch gewiß von diesen Besuchen.«
    »Hören Sie, Herr Kommissar, ich habe mich Professor Viviers wegen bereit erklärt, Sie zu empfangen. Trotzdem sage ich Ihnen, daß ich alles nur Mögliche tun werde, damit Dr. Mélan nichts passiert. Er ist ein Mensch, der sein Leben lang gelitten hat, der jetzt mehr denn je leidet, der immer leiden wird. Er hat eine besonders schwere Kindheit gehabt.«
    »Ich weiß, auf welchen Zwischenfall Sie anspielen.«
    »Ein Zwischenfall? Er hat mir von keinem Zwischenfall erzählt. Er vertraut sich niemandem an.«
    »Seine Schwester ist zu Anfang des Krieges…«
    »Ich wußte gar nicht, daß er eine Schwester hat.«
    Maigret erzählte ihr die Geschichte von der Vergewaltigung, und sie riß wieder die Augen weit auf.
    »Das erklärt vielleicht vieles.«
    »Ich kann Ihnen sagen, daß die Psychiater, wie Professor Vivier sagt, ihm in jedem Falle verminderte Zurechnungsfähigkeit zubilligen werden. Vivier hat sich selber von vornherein bereit erklärt, als Entlastungszeuge aufzutreten. Und vielleicht werde ich das gleiche tun.«
    »Sie?«
    »Ich. Aber ich brauche Ihre Hilfe. Sie geben zu, daß er in Angst lebt. Sehr viele Verbrechen werden aus Angst begangen.«
    »Man wird ihn trotzdem einsperren. Und er ist nicht der Mann, der es erträgt, im Gefängnis zu sitzen.«
    »Das habe ich immer gehört, wenn ich jemanden verhaftete. Sie wissen genauso wie ich, daß der Arzt Abtreibungen vornahm.«
    »Ich habe es an dem Tage
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