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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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rannten, um dem Platzregen zu entfliehen. Maigret erreichte gerade noch das Hotel, ehe haselnußgroße, eiskalte Tropfen fielen.
    Die Angestellten und Dolmetscher hinter der Mahagonitheke blieben elegant und korrekt.
    »Polizei! … Ein Reisender in grünem Überzieher … Mit kleinem blondem Schnurrbart …«
    »Zimmer 17 … Sein Gepäck wird gerade hinaufgebracht.«

2
    Der Freund der Milliardäre
     
    Maigrets pure Anwesenheit im Majestic hatte unvermeidlich etwas Feindseliges. Er bildete gewissermaßen einen Klotz, den die dort herrschende Atmosphäre nicht einzubeziehen vermochte.
    Nicht daß er den Kriminalbeamten glich, wie sie in Karikaturen weithin dargestellt werden. Er trug weder einen Schnurrbart noch Schuhe mit dicken Sohlen. Seine Kleidung war aus recht feinem Tuch und gut geschnitten. Außerdem rasierte er sich jeden Morgen und hatte gepflegte Hände.
    Aber sein Körperbau war grobschlächtig. Er wirkte übergroß und knochig. Harte Muskeln zeichneten sich unter der Jacke ab und zerbeulten schnell seine neuesten Hosen.
    Er hatte vor allem eine ihm eigene Art, sich irgendwo hinzustellen, die selbst einigen seiner Kollegen mißfiel.
    Sie drückte mehr als nur Selbstsicherheit aus und dennoch keineswegs Hochmut. Er trat auf wie ein geschlossener Block, und gleich hatte es den Anschein, als müsse sich alles an ihm brechen, ob er sich nun vorwärtsbewegte oder auf seinen leicht gespreizten Beinen stehenblieb.
    Die Pfeife war zwischen die Zähne genietet. Bloß weil er sich im Majestic befand, nahm er sie noch lange nicht aus dem Mund.
    Vielleicht wollte er mit diesem Verhalten im Grunde seinen Hang zur Gewöhnlichkeit, sein Selbstvertrauen zu erkennen geben?
    In seinem dicken schwarzen Mantel mit dem Samtkragen war er in der hell erleuchteten Halle unmöglich zu übersehen, wo sich feine Damen wie herausgeputztes Hauspersonal in Wolken von Parfüm bewegten, spitz auflachten, tuschelten und einander lauthals begrüßten.
    Er kümmerte sich nicht darum. Er blieb außerhalb dieses Treibens. Laute Jazzmusik drang aus dem Untergeschoß zu ihm herauf und stieß wie an eine undurchdringliche Wand.
    Als er die ersten Stufen einer Treppe hinaufstieg, rief ihm der Liftboy nach und wollte ihm den Fahrstuhl anbieten. Aber er drehte sich nicht einmal um.
    In der ersten Etage fragte ihn jemand:
    »Suchen Sie etwas?«
    Die Laute schienen nicht bis zu ihm zu gelangen. Er sah die mit roten Teppichen ausgelegten unendlichen Flure entlang, die einen schwindeln machen konnten, und ging weiter hinauf.
    Im zweiten Stock entzifferte er, die Hände in den Taschen, die Nummern auf den Bronzeschildern. Die Tür von Zimmer 17 stand offen. Pagen in gestreiften Westen trugen die Koffer hinein.
    Der Reisende, der den Mantel ausgezogen hatte und in seinem vornehmen Anzug sehr fein und schlank wirkte, rauchte eine Zigarette mit Pappmundstück, während er Anweisungen gab.
    Nummer 17 war kein einfaches Zimmer, sondern ein vollständiges Appartement: Wohnraum, Arbeitszimmer, Schlafzimmer und Bad. Die Türen gingen zu einem abgeknickten Flur, in dessen Winkel ein ausladendes, halbrundes Sofa wie eine Bank an einer Kreuzung stand.
    Dort setzte sich Maigret genau gegenüber der geöffneten Tür hin, streckte die Beine aus und knöpfte den Mantel auf. Pietr, der Lette, bemerkte ihn, gab jedoch weiter seine Anweisungen, ohne Überraschung oder Mißfallen kundzutun. Als die Hausdiener endlich das Gepäck auf den Ablagen abgestellt hatten, trat er selbst zur Tür, um sie zu schließen, wobei er jedoch den Kommissar einen Augenblick lang, bevor sie ins Schloß fiel, beobachtete.
    Maigret hatte Zeit, drei Pfeifen zu rauchen und zwei Etagenkellner und ein Zimmermädchen fortzuschicken, die ihn nach dem Grund seines Wartens fragten.
    Punkt acht Uhr trat Pietr, der Lette, aus seinem Appartement: noch schlanker und noch untadeliger als zuvor, in einem strenggeschnittenen Smoking, dem man den englischen Schneider ansah. Er war barhäuptig. Seine hellblonden, kurzgeschnittenen Haare begannen sich zu lichten. Ihr Ansatz lag weit zurück, gab eine etwas fliehende Stirn frei und ließ auf der Mitte des Schädels rosigschimmernde Haut ahnen.
    Seine Hände waren schmal und weiß. An seinem linken Ringfinger trug er einen schweren Siegelring aus Platin, der mit einem gelben Diamanten verziert war.
    Wieder rauchte er eine russische Zigarette mit langem Pappmundstück. Er ging nahe an Maigret vorbei, zögerte einen Augenblick, schaute ihn an, als verlocke ihn
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