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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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schmutzigem Bart und schlechtsitzender Kleidung auf, die nicht recht in den Rahmen des Hotels passen wollte. Er gehörte natürlich zu denen, die hinter den Kulissen zu bleiben hatten, andernfalls trüge auch er eine schöne Uniform und würde jeden Morgen rasiert.
    »Haben Sie jemanden das Hotel verlassen sehen?«
    »Wann?«
    »Vor wenigen Minuten.«
    »Jemanden aus der Küche, glaube ich … Ich habe nicht darauf geachtet … Ein Mann mit einer Mütze …«
    »Klein, blond?« unterbrach ihn Maigret.
    »Ja, ich glaube … Ich habe nicht genau hingeschaut … Er ging schnell …«
    »Sonst noch jemand?«
    »Ich weiß nicht … Ich bin zur Ecke und hab mir eine Zeitung gekauft …«
    Mrs. Mortimer-Levingston verlor die Geduld.
    »Wie? … Nennen Sie das suchen?« rief sie zu Maigret gewandt aus. »Man hat mir eben gesagt, daß Sie von der Polizei sind … Mein Mann ist vielleicht getötet worden … Was warten Sie hier noch?«
    Der Blick, der auf ihr ruhte, war typisch für Maigret. Eine Ruhe! Eine Gleichmütigkeit! Als hätte er lediglich das Summen einer Fliege vernommen! Als hätte er etwas gänzlich Belangloses vor sich.
    Sie war es nicht gewohnt, derartig angeblickt zu werden. Sie biß sich auf die Lippen, lief unter ihrem Make-up purpurrot an und stampfte vor Ungeduld mit dem Fuß auf den Boden.
    Er schaute sie immer noch an.
    Zum Äußersten getrieben oder weil ihr vielleicht nichts anderes einfiel, bekam sie einen Nervenzusammenbruch.

3
    Die Haarlocke
     
    Es war fast Mitternacht, als Maigret am Quai des Orfèvres ankam. Der Sturm hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die Bäume am Flußufer wurden kräftig geschüttelt, und aufgepeitschte Wellen schlugen gegen das Waschboot.
    Die Büros im Justizpalast lagen nahezu verlassen. Dennoch war Jean an seinem Platz im Vorzimmer, von dem aus man die Flure überblicken konnte, die die vielen leeren Arbeitsräume säumten.
    Von der Wache klangen Stimmen herüber. Hier und dort war unter einer Tür ein Lichtstreifen zu sehen: ein Kommissar oder ein Inspektor, der irgendeinem Fall nachging. Im Hof knatterte ein Auto der Präfektur.
    »Ist Torrence wieder zurück?« erkundigte sich Maigret.
    »Er muß jeden Augenblick kommen.«
    »Mein Ofen?«
    »Ich habe das Fenster etwas aufmachen müssen, so heiß war es bei Ihnen. Das Wasser rann an den Wänden herab!«
    »Bestell mir doch Bier und ein paar Sandwiches. Aber nicht so kleine Häppchen, ja?«
    Er stieß eine Tür auf und rief:
    »Torrence!«
    Kriminalobermeister Torrence folgte ihm in sein Arbeitszimmer. Bevor er den Nordbahnhof verlassen hatte, hatte Maigret ihn telefonisch angewiesen, die Untersuchung von seiner Seite aus fortzusetzen.
    Der Kommissar war fünfundvierzig Jahre alt, Torrence erst dreißig. Aber er machte bereits einen so massiven Eindruck, daß er fast ein Abbild Maigrets war.
    Sie hatten so manche Untersuchung gemeinsam durchgeführt, ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren.
    Der Kommissar zog seinen Mantel aus, seine Jacke, lockerte seine Krawatte. Mit dem Rücken zum Feuer ließ er sich ein Weilchen von der Wärme durchdringen, ehe er zu fragen begann: »Nun?«
    »Die Staatsanwaltschaft hat sofort eine Beratung angesetzt. Die Spurensicherung hat Aufnahmen gemacht, aber keine Fingerabdrücke feststellen können. Außer denen des Opfers natürlich! Sie gleichen keinen aus unserer Kartei.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, haben die tatsächlich keine Abdrücke von dem Letten.«
    »Nein, nichts außer seiner Personenbeschreibung. Keine Fingerabdrücke, keine Körpermaße.«
    »Also haben wir keinen Beweis dafür, daß der Tote nicht Pietr, der Lette, ist.«
    »Es beweist aber auch nicht, daß er es ist!«
    Maigret hatte zu seiner Pfeife und einem Tabaksbeutel gegriffen, der jedoch nur noch ein paar braune Krümel enthielt. Automatisch reichte ihm Torrence ein angebrochenes Päckchen mit einfachem französischem Tabak hinüber.
    Sie schwiegen. Der Tabak knisterte. Dann hörte man Schritte und aneinanderschlagende Gläser hinter der Tür, die Torrence öffnete.
    Der Kellner der Brasserie Dauphine trat ein und stellte ein Tablett mit sechs Gläsern Bier und vier dickbelegten Sandwiches auf den Tisch.
    »Reicht das?« fragte er, als er sah, daß Maigret nicht allein war.
    »Das reicht.«
    Ohne mit dem Rauchen aufzuhören, begann der Kommissar zu essen und zu trinken, nachdem er auch dem Kriminalobermeister ein Glas hinübergeschoben hatte.
    »Und weiter?«
    »Ich habe das gesamte Zugpersonal befragt. Es hat
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