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Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette
Autoren: Georges Simenon
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Hatte Oskar vorausgesehen, daß das eines Tages so kommen würde? Spionierte er ihr nach? Höchstwahrscheinlich.
    Man konnte sich die Szene leicht vorstellen. Das Ehepaar war nach der Rückkehr vom Casino auf die Terrasse gegangen, und es war für die Gräfin nicht schwer gewesen, den alten Mann bis an den Rand des Felsens zu führen und ihn dann in den Abgrund hinunterzustoßen.
    Es mußte sie sehr erschreckt haben, als sie nach ihrer Tat merkte, daß der Chauffeur Augenzeuge gewesen war und sie nun stumm musterte.
    Was hatten sie sich gesagt? Welchen Pakt hatten sie miteinander geschlossen?
    Jedenfalls hatten ihr nicht die Gigolos das ganze Vermögen abspenstig gemacht. Ein guter Teil davon war sicherlich an Oskar gegangen.
    Er war zu ausgekocht, um dann noch länger bei ihr zu bleiben. Er war von der Bildfläche verschwunden und hatte mehrere Jahre gewartet, bis er sich in seiner Heimat ein Haus kaufte.
    Er hatte sich bis dahin nichts von seinem Reichtum anmerken lassen, hatte das Geld nicht aus dem Fenster geworfen.
    Maigret kam immer wieder auf denselben Punkt zurück: es war ein Einzelgänger, und er hatte gelernt, vor Einzelgängern besonders auf der Hut zu sein.
    Bonvoisin war auch ein Frauenjäger gewesen, wie man jetzt wußte. Die Aussage der alten Köchin sagte genug. Bevor er Arlette in La Bourboule kennenlernte, mußte er viele andere gehabt haben.
    War er auch ihr Lehrmeister gewesen? Hatte er sie ebenso fest an sich gebunden?
    Nie war es zu einem Skandal gekommen, durch den sein dunkles Treiben an den Tag gekommen wäre.
    Mit der Gräfin war es allmählich mehr und mehr bergab gegangen, und von ihm war nirgends mehr die Rede gewesen.
    Sie gab ihm Geld. Er konnte nicht weit wohnen. Im selben Viertel zweifellos, und ein Mann wie Fred, der Arlette seit zwei Jahren beschäftigte, hatte nie etwas von ihm gesehen oder gehört.
    Wer weiß? Vielleicht hatte er sich genauso an Arlette gehängt, wie der Graf an die Gräfin. Was bewies denn, daß Arlette nicht versucht hatte, ihn abzuschütteln?
    Einmal jedenfalls, nach dem leidenschaftlichen Gespräch mit Lapointe, hatte sie es bestimmt versucht.
    »Ich kann nicht verstehen«, sagte Fred, als hätte Maigret laut gedacht, während er seine Suppe aß, »warum er diese alte Verrückte ermordet hat. Es heißt, er hätte es getan, um die in ihrer Matratze verborgenen Juwelen in seinen Besitz zu bringen. Das ist möglich. Das ist sogar sicher. Aber er konnte doch mit ihr machen, was er wollte, und hätte sie ihr darum auf andere Weise abjagen können.«
    »Nein, so leicht hätte sie sich bestimmt nicht von ihnen getrennt«, warf Rosa ein. »Es war alles, was sie noch besaß, und es kostete sie viele Mühe, sie sich möglichst lange zu erhalten. Nicht zu vergessen, daß sie sich spritzte, und daß diese Leute nur allzu leicht was ausplappern.«
    Für Arlettes Nachfolgerin klang das alles vollkommen unverständlich, und sie blickte sie alle nacheinander neugierig an. Fred hatte sie in einem kleinen Theater aufgegabelt, wo sie Statistin war. Sie schien sehr stolz zu sein, daß sie endlich eine eigene Nummer zeigen konnte, aber zugleich ein wenig Angst davor zu haben, daß ihr dasselbe wie Arlette zustoßen könnte. Das war ihr deutlich anzumerken.
    »Bleiben Sie den ganzen Abend?« fragte sie Maigret.
    »Das ist möglich. Ich weiß es noch nicht.«
    »Der Kommissar kann ebensogut in zwei Minuten wie erst morgen früh fort müssen«, sagte Fred mit verstecktem Lächeln.
    »Nach meiner Meinung«, nahm Rosa wieder das Wort, »hatte Arlette ihn satt, und er hat das gemerkt. Gewiß, ein Mann kann eine Frau eine Zeitlang an sich fesseln, besonders, wenn sie noch sehr jung ist. Aber sie hat auch noch andere kennengelernt…«
    Sie warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu:
    »Nicht wahr, Fred, sie hat doch Anträge noch und noch bekommen?«
    »Es sind nicht nur immer die Frauen, die sich anbiedern. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er beschlossen hätte, mit einem Schlage soviel Geld in seinen Besitz zu bringen, daß er mit ihr anderswo leben konnte. Nur es ist falsch von ihm gewesen, daß er ihr zu sehr vertraute und ihr von seinem Plan erzählte. Daran sind schon andere gescheitert.«
    All das war gewiß noch recht verworren, aber etwas begann sich doch darin abzuzeichnen, das vor allem die Figur Oskars deutlicher machte.
    Maigret ging wieder zum Telefon, aber diesmal war es nicht für ihn. Fred wurde am Apparat verlangt. Er war so taktvoll, die Tür zum Waschraum nicht
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