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Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette
Autoren: Georges Simenon
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war noch sehr jung, viel jünger jedenfalls, als sie aussehen wollte. Immer wieder blickte sie ängstlich fragend auf die Uhr wie ein kleines Mädchen, das sich unerlaubt herumgetrieben hat. Sie schien sehr müde zu sein und sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Der Wachtmeister roch den mit Parfümduft vermischten leichten Schweißgeruch.
    »Und dann hat er davon geredet, er wollte sie umbringen?« wiederholte er.
    »Was er genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Ich war ja schließlich nicht allein und konnte nicht die ganze Zeit hinhören.«
    »Hatte Albert seine Arme um dich geschlungen?«
    »Nein, er hielt mir nur die Hände. Der ältere hat so was gesagt wie: ›Heute nacht mache ich sie fertig!‹«
    »Das braucht doch nicht zu heißen, daß er sie umbringen will. Das kann ebensogut bedeuten, daß er ihr den Schmuck stehlen will. Oder daß er einfach ihr Gläubiger ist und ihr den Gerichtsvollzieher auf den Hals hetzen möchte.«
    Mit einem gewissen Eigensinn antwortete sie:
    »Nein.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil das anders geklungen hat.«
    »Hat er klipp und klar gesagt, er wollte sie töten?«
    »Ich bin sicher, daß er das tun will. Aber an die einzelnen Worte erinnere ich mich nicht mehr.«
    »Könnte das nicht ein Mißverständnis sein?«
    »Nein.«
    »Und das war vor zwei Stunden?«
    »Ja, vor gut zwei Stunden.«
    »Nun – und da kommst du erst jetzt her?«
    »Ich war ganz durcheinander, und dann konnte ich auch vor Schluß nicht aus dem Picratt fort. Alfonsi ist darin sehr streng.«
    »Selbst, wenn du ihm die Wahrheit gesagt hättest?«
    »Er hätte mir bestimmt darauf geantwortet, ich solle mich um meine Angelegenheiten kümmern.«
    »Versuch dich genau an jedes ihrer Worte zu erinnern.«
    »Sie haben nicht viel geredet, und ich hab’ nicht alles gehört. Die Musik spielte, und dann hatte Tanja ihren Auftritt.«
    Schon seit einigen Augenblicken machte sich der Wachtmeister Notizen, aber mehr widerwillig als überzeugt tat er es.
    »Kennst du eine Gräfin?«
    »Ich wüßte nicht.«
    »Verkehrt eine in dem Lokal?«
    »Es kommen nicht viele Frauen dorthin. Ich habe nie gehört, daß unter den Gästen eine Gräfin war.«
    »Hast du nicht versucht, die beiden Männer von vorn zu sehen?«
    »Das habe ich nicht gewagt. Ich hatte Angst.«
    »Wovor Angst?«
    »Daß sie gemerkt haben könnten, ich hätte das Gespräch belauscht.«
    »Wie redeten sie sich an?«
    »Ich glaube, der eine der beiden heißt Oskar. Aber beschwören kann ich’s nicht. Ich habe wohl zu viel getrunken. Ich habe gräßliche Kopfschmerzen und möchte gern schlafen gehen. Hätte ich geahnt, daß Sie mir doch nicht glauben, wär ich nicht hergekommen.«
    »Setz dich.«
    »Darf ich nicht gehen?«
    »Nein, noch nicht.«
    Er deutete auf eine Bank an der Wand, an der amtliche Verlautbarungen hingen.
    Aber gleich darauf rief er sie wieder zu sich heran.
    »Wie heißt du?«
    »Arlette.«
    »Ich will deinen richtigen Namen wissen. Hast du einen Personalausweis?«
    Sie nahm ihn aus ihrer Handtasche und reichte ihn ihm. Er las: »Jeanne-Marie-Marcelle Leleu, 24 Jahre, geboren in Moupins, Tänzerin, Paris, Rue Notre-Dame-de-Lorette 42.«
    »Du heißt ja gar nicht Arlette?«
    »Das ist mein Künstlername.«
    »Bist du auf der Bühne aufgetreten?«
    »Nicht in richtigen Theatern.«
    Er zuckte die Schultern und gab ihr den Personalausweis zurück, aus dem er sich die einzelnen Angaben abgeschrieben hatte.
    »Du kannst dich wieder setzen.«
    Dann bat er seinen jungen Kollegen leise, auf sie aufzupassen, ging in den Nebenraum, um dort ungestört telefonieren zu können, und rief die Rettungsstelle der Polizei an.
    »Bist du’s, Louis? Hier ist Simon vom Revier La Rouchefoucauld. Ist heute nacht zufällig eine Gräfin ermordet worden?«
    »Wieso eine Gräfin?«
    »Weiß ich auch nicht, ist wahrscheinlich dummes Zeug. Das Mädel spinnt ein bißchen. Jedenfalls ist sie ganz hübsch voll. Sie behauptet gehört zu haben, wie zwei Männer ausmachten, eine Gräfin zu ermorden, eine Gräfin, die kostbaren Schmuck besitzen soll.«
    »Kenne ich nicht. Ist nichts gemeldet.«
    »Wenn so was passieren sollte, gib mir gleich Bescheid.«
    Sie unterhielten sich dann noch einen Augenblick privat. Als Simon in das Büro zurückkam, war Arlette bereits eingeschlafen. Sie saß dort wie im Wartesaal. Der Eindruck war so täuschend echt, daß der Wachtmeister unwillkürlich nach einem Koffer zu ihren Füßen suchte.
    Als Jacquart um sieben Uhr Wachtmeister
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