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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Autoren: Georges Simenon
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allzu genau ne h men, wird niemand kümmern, denke ich.«
    Er schaute auf seine Uhr.
    »Zehn Minuten nach elf … Ich rede so viel, daß ich nicht einmal die Glocken Ihrer Kirche höre, Herr Pfarrer.«
    Und da der Maître d’hôtel beim Auftischen der Flaschen den Revolver leicht verschob, mahnte der Graf:
    »Achtung, Albert! … Er muß in gleicher Entfernung von jedem bleiben.«
    Er wartete, bis die Türe zuging.
    »So, jetzt komme ich an die Reihe«, entschied er. »Ich plaudere nichts aus, was Ihnen neu sein dürfte, wenn ich sage, daß ich nie etwas Vernünftiges getan habe. Außer vielleicht zu Lebzeiten meines Vaters … Da er jedoch g e storben ist, als ich erst siebzehn Jahre alt war … Mit mir steht es faul! Das weiß jedermann! Die kleinen Klatsc h blätter berichten davon in kaum verhüllten Worten … Ungedeckte Schecks … Ich pumpe Maman an, so oft es nur geht … Ich täusche die Berliner Erkrankung vor, um ein paar tausend Franc zu kriegen … Ü b rigens, wenn auch harmloser, dasselbe wie die Sache mit dem Meßbuch Was geschieht zudem? … Das Geld, das eigentlich mir zusteht, wird von kleinen Dreckskerlen wie Métayer verpulvert … Entschuldigen Sie, mein B e ster … Wir treiben immer noch transzendente Psychologie … Bald wird nichts mehr übrig sein … Ich telef o niere meiner Mutter zu einem Zeitpunkt, in dem ein ungedeckter Scheck mich im Gefängnis landen lassen wird … Sie weigert sich zu zahlen … Das ist durch Zeugenaussagen bewiesen … Kurz, wenn es so weitergeht, wird in ein paar Wochen nichts mehr von dem mir zustehenden Erbgut vorhanden sein … Zwei Hypothesen, wie für Emile Gautier. Die erste …«
    Nie während seiner ganzen Karriere hatte Maigret sich so unbehaglich gefühlt. Und zweifellos erstmals fühlte er sich ganz eindeutig der Situation nicht gewachsen. Das Geschehen überforderte ihn. Manchmal glau b te er zu begreifen, doch im nächsten Augenblick stellte ein Satz von Saint-Fiacre alles wieder in Frage!
    Und ständig kehrte jener insistente Fuß zu dem seinen zurück.
    »Wie wär’s, wenn wir über was anderes redeten?« wa g te der völlig betrunkene Anwalt einzuwerfen.
    »Messieurs …«, begann der Priester.
    »Pardon! Sie schulden mir ihre Zeit wenigstens bis Mitternacht! Ich sagte, daß die erste Hypothese … Prächtig! Sie haben mich dazu gebracht, den Faden zu verlieren …«
    Und als könnte er ihn dadurch wiederfinden, schenkte er sich ein ganzes Glas Whisky ein.
    »Ich weiß, daß meine Mutter sehr zartbesaitet ist. Also stecke ich das Blatt Papier in ihr Meßbuch, um sie zu erschrecken und dadurch weichherziger zu stimmen, alles mit der Idee, sie am nächsten Tag nochmals um den nötigen Betrag anzugehen und sie denn bereitwilliger zu finden … Aber es gibt noch die zweite Hypothese! Warum soll nicht auch ich beabsichtigt haben, sie umz u bringen? Das Vermögen der Saint-Fiacre ist noch nicht völlig aufgezehrt! Es bleibt noch ein wenig davon übrig! Und in meiner Lage kann ein bißchen Geld, wie wenig es auch sein mag, die Rettung sein! … Ich weiß ande u tungsweise, daß Métayer im Testament als Miterbe g e nannt ist. Aber ein Mörder kann nicht von seinem O p fer erben … Ist nicht er es, den man des Verbrechens verdächtigen wird? Er, der einen Teil seiner Zeit in einer Druckerei in Moulins verbringt? Er, der, da er im Schloß lebt, das Blatt in das Meßbuch stecken kann, wo und wann es ihm beliebt? … Bin ich nicht am Samstagnachmittag in Moulins angekommen? Habe ich nicht dort, in Gesellschaft meiner Mätresse, das Ergebnis di e ses Schachzugs abgewartet?«
    Er erhob sich, sein Glas in der Hand.
    »Auf Ihr Wohl, Messieurs … Sie sind so trostlos … Das tut mir leid … Das ganze Leben meiner Mutter während der letzten Jahre war trostlos … Nicht wahr, Herr Pfarrer? … Es wäre nur recht und billig, wenn ihre letzte Nacht von etwas Fröhlichkeit begleitet würde …«
    Er schaute dem Kommissar in die Augen:
    »Auf Ihr Wohl, Monsieur Maigret!«
    Über wen machte er sich lustig? Über sich selbst? Über jedermann?
    Maigret fühlte sich einer Kraft gegenüber, gegen die sich nicht ankommen ließ. Manchen Menschen wird zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens eine Stunde absoluter Überlegenheit beschert, eine Stunde, während der sie gewissermaßen über dem Rest der Menschheit und auch über sich selber stehen.
    So ist es mit dem Spieler, der Monte Carlo gewinnt, wie er auch setzen mag. So ist es mit dem Abgeordneten von der
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