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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel
Autoren: Georges Simenon
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sehr würdig, von sich selbst und von ihrem Recht, dabeizusein, überzeugt.
    Das schwarze Kleid, das sie trug, diente gewiß nur diesem einen Zweck: an Beerdigungen teilzunehmen! Ihr Blick begegnete dem Maigrets. Sie geruhte, ihm leicht zuzunicken.
    Die Orgel dröhnte; dazu der Baß des Kantors, das Falsett des Diakons: et ne nos inducat in tentationem …
    Das Geräusch zurückgeschobener Stühle. Der Katafalk war hoch, und dennoch verschwand er unter den Blumen und Kränzen.
    Die Mieter des Hauses Place des Vosges 61 .
    Mathilde hatte sicher ihren Anteil gespendet. Ob auch die Martins sich in die Beitragsliste eingeschrieben hatten?
    Madame Martin war nicht zu sehen. Sie lag noch zu Bett.
    Libera nos, Domine …
    Die Aussegnung. Das Ende. Der Sargführer schritt dem Leichenzug langsam voran. In einer Ecke in der Nähe eines Beichtstuhls entdeckte Maigret Nine. Ihre kleine Nase war ganz rot, aber sie machte sich nicht die Mühe, mit dem Puderquast darüberzufahren.
    »Es ist schrecklich, nicht wahr?« sagte sie.
    »Was ist schrecklich?«
    »Alles! Ich weiß nicht. Diese Musik … Und dieser Chrysanthemengeruch …«
    Sie biß sich auf die Unterlippe, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
    »Wissen Sie, ich habe viel nachgedacht … Und manchmal habe ich das Gefühl, daß er etwas geahnt haben muß …«
    »Gehen Sie mit zum Friedhof?«
    »Was meinen Sie, soll ich? Man könnte mich sehen, nicht wahr? Vielleicht ist es besser, wenn ich nicht hingehe … Obwohl ich so gern wüßte, wo sie ihn begraben …«
    »Sie brauchen nur den Friedhofswärter zu fragen.«
    »Ja …«
    Sie flüsterten miteinander. Die Schritte der letzten Trauergäste verhallten hinter der Kirchentür. Wagen setzten sich in Bewegung.
    »Sie sagten, er ahnte etwas?«
    »Vielleicht nicht, daß er auf diese Weise sterben würde … Aber er wußte, daß er nicht mehr lange zu leben hatte … Er war schwer herzkrank …«
    Man merkte, daß sie sich gequält hatte, daß ihre Gedanken Stunde um Stunde die gleiche Frage umkreist hatten.
    »Worte, die er gesagt hat, und an die ich mich erinnere …«
    »Hatte er Angst?«
    »Nein! Eher das Gegenteil … Wenn man zufällig das Wort Friedhof erwähnte, antwortete er lachend: ›Der einzige Ort, an dem man seine Ruhe hat … Ein hübsches kleines Eckchen auf dem Père-Lachaise …‹«
    »Scherzte er viel?«
    »Vor allem, wenn er gar nicht fröhlich war … Verstehen Sie? Er wollte es sich nicht anmerken lassen, daß er Sorgen hatte. In solchen Augenblicken suchte er irgendeinen Anlaß, um sich zu bewegen, um zu lachen …«
    »Zum Beispiel, wenn er von seiner ersten Frau sprach?«
    »Über sie hat er nie mit mir gesprochen.«
    »Und über die zweite?«
    »Auch nicht! Er sprach nicht von jemand Bestimmtem. Er sprach über die Menschen im allgemeinen. Er fand, sie seien komische kleine Tiere. Wenn ein Kellner ihn beschummelte, sah er ihm mit einem besonders gerührten Ausdruck nach. ›Eine Kanaille!‹ sagte er. Und er betonte dieses Wort mit einem amüsierten, zufriedenen Lächeln!«
    Es war kalt. Allerheiligenwetter. Maigret und Nine hatten in diesem Viertel Saint-Philippe-du-Roule nichts mehr zu suchen.
    »Und was macht das Moulin-Bleu?«
    »Es geht!«
    »Ich werde an einem der nächsten Abende mal vorbeischauen …«
    Maigret gab ihr die Hand und sprang auf die Plattform eines Autobusses.
    Er mußte allein sein, nachdenken, oder vielmehr seine Gedanken umherwandern lassen. Er stellte sich den Leichenzug vor, der bald auf dem Friedhof eintreffen würde … Madame Couchet … Der Oberst … Der Bruder … Die Leute, die über das merkwürdige Testament reden würden …
    »Was konnten sie nur bei den Abfallbehältern gewollt haben?«
    Denn das war der Angelpunkt des Dramas. Martin war um die Müllkästen unter dem Vorwand herumgestrichen, einen Handschuh zu suchen, den er nicht gefunden, am nächsten Morgen aber wieder getragen hatte. Auch Madame Martin hatte im Abfall herumgewühlt und etwas von einem silbernen Löffel erzählt, den sie versehentlich weggeworfen hätte.
    »… weil er ohne das Geld zurückgekommen ist … «hatte die alte Mathilde gesagt.
    In der Tat, an der Place des Vosges mußte es jetzt lustig zugehen! Würde die Verrückte, die jetzt allein war, wie üblich schreien?
    Der vollbesetzte Autobus fuhr an den Haltestellen durch. Ein Fahrgast, der Rücken an Rücken mit Maigret stand, sagte zu seinem Nachbarn:
    »Hast du schon von der Geschichte mit den Tausendfrancscheinen gelesen?«
    »Nein!
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