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Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher

Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher

Titel: Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
Autoren: Georges Simenon
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Schwester, die erst achtzehn ist und sehr leicht Kontakt knüpft … Er hat überhaupt keinen regelmäßigen Umgang … Ist ihm etwas zugestoßen?«
    »Ja …«
    »Ein Unfall?«
    »Wenn man so will … Er wurde überfallen, auf dem unbeleuchteten Gehsteig der Rue Popincourt …«
    »Ist er verletzt?«
    »Ja …«
    »Schwer?«
    »Er ist tot …«
    Er hätte sich gerne erspart, diesen Sturz ins Bodenlose mit ansehen zu müssen. Das mondäne, so selbstsicher und ungezwungen auftretende Paar von vorhin gab es auf einmal nicht mehr. Die Abendtoilette war plötzlich keine Haute Couture, der Anzug keine Maßarbeit vom Herrenschneider mehr. Sogar die Wohnung hatte ihre verführerische Eleganz verloren.
    Da waren nur noch, in sich zusammengesunken, ein Mann und eine Frau, die sich verzweifelt dagegen wehrten, zu glauben, was sie eben erfahren hatten.
    »Sind Sie sicher, dass es mein …?«
    »Antoine Batille, nicht wahr?«
    Maigret hielt ihm die durchnässte Brieftasche hin.
    »Ja, sie gehört ihm …«
    Er steckte sich mechanisch eine Zigarette an. Seine Hände zitterten. Seine Lippen ebenso.
    »Wie ist es passiert?«
    »Er kam aus einem kleinen Bistro … Er war etwa fünfzig Meter im Regen gegangen, als jemand mit einem Messer von hinten auf ihn einstach …«
    Die Frau verzog das Gesicht, als wäre sie selbst von Messerstichen getroffen worden, und ihr Mann legte ihr den Arm um die Schultern. Er versuchte etwas zu sagen, brachte aber zunächst keinen Ton heraus. Was hätte er auch sagen sollen? Auch wenn es nicht das war, was ihn jetzt am meisten beschäftigte, fragte er:
    »Wurde er gefasst, der …«
    »Nein …«
    »War er sofort tot?«
    »Er starb kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus Saint-Antoine …«
    »Können wir hinfahren und ihn sehen?«
    »Ich möchte Ihnen empfehlen, es heute Nacht noch nicht zu tun und vielleicht bis morgen früh zu warten …«
    »Musste er sehr leiden?«
    »Dem Arzt zufolge nicht …«
    »Komm, Martine, leg dich schlafen … Oder leg dich wenigstens in deinem Zimmer hin …«
    Er nahm sie sanft, aber entschieden bei der Hand.
    »Ich stehe Ihnen gleich wieder zur Verfügung, Herr Kommissar …«
    Monsieur Batille blieb etwa eine Viertelstunde weg. Als er wieder kam, war er sehr bleich; sein Gesicht war angespannt, sein Blick ausdruckslos.
    »Nehmen Sie doch Platz, bitte …«
    Er war klein, schlank, drahtig. Die wuchtige, schwere Gestalt Maigrets musste fast erdrückend auf ihn wirken.
    »Möchten Sie immer noch nichts trinken?«
    Er öffnete eine kleine Bar, entnahm ihr eine Flasche und zwei Gläser.
    »Ich gebe zu, ich brauche jetzt einen …«
    Er schenkte erst sich selbst, dann auch Maigret einen Whisky ein.
    »Viel Soda?«
    Und ohne die Antwort abzuwarten:
    »Ich verstehe das nicht … Ich kann es einfach nicht verstehen … Antoine hat mir nie etwas verheimlicht, es gab auch gar nichts in seinem Leben, was zu verheimlichen gewesen wäre … Er war … Es fällt mir schwer, von ihm in der Vergangenheit zu reden, und doch werde ich mich daran gewöhnen müssen … Er war Student … Er studierte Literatur und Geschichte an der Sorbonne … Er gehörte keiner Gruppe an … Politik interessierte ihn nicht im Entferntesten …«
    Mit hängenden Schultern stierte er auf den gelbbraunen Teppich und sagte vor sich hin:
    »Mein Sohn, umgebracht … Warum? Warum denn bloß?«
    »Um das möglichst zu klären, bin ich hier …«
    Monsieur Batille sah Maigret an, als würde er ihn erst jetzt bemerken.
    »Wie kommt es, dass Sie sich persönlich herbemüht haben? Für die Polizei ist es doch ein alltäglicher Fall, oder nicht?«
    »Ich war zufälligerweise in unmittelbarer Nähe …«
    »Haben Sie etwas gesehen?«
    »Nein …«
    »Hat sonst jemand etwas gesehen?«
    »Ein italienischer Lebensmittelhändler, der mit seiner Frau auf dem Nachhauseweg war … Ich habe die Sachen mitgebracht, die Ihr Sohn in den Taschen hatte, aber ich habe das Tonbandgerät vergessen …«
    Der Vater schien erst nicht zu verstehen, dann murmelte er:
    »Ach, ja …«
    Er lächelte beinahe.
    »Es war seine Leidenschaft … Sie werden sicher darüber lächeln … Auch wir, seine Schwester und ich, haben uns manchmal über ihn lustig gemacht … Andere sind versessen aufs Fotografieren und machen Jagd auf Charakterköpfe, bis unter die Brücken zu den Clochards …
    Antoine hingegen sammelte menschliche Stimmen … Er brachte oft ganze Abende damit zu … Er ging in die Bistros, in die Bahnhöfe, überallhin, wo es
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