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Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Titel: Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
Autoren: Georges Simenon
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sich in seiner Eigenschaft als Kommissar der Kriminalpolizei in die Avenue Carnot begab und nicht als Mensch, der sich für einen anderen Menschen interessierte.
    Zum Essen hatte er Wein getrunken. Als ihn der Kellner gefragt hatte, ob er einen Schnaps wolle, hatte er einen alten Burgunderschnaps bestellt, und jetzt, als er wieder im Wagen saß, war ihm ein wenig warm.
    Die Avenue Carnot war friedlich und menschenleer. Hinter den Vorhängen sah man mattes Licht schimmern. Als er an der Concierge vorbeikam, glaubte er aus ihrem Blick etwas wie einen Vorwurf herauszulesen.
    Die beiden Männer stiegen in den Fahrstuhl. Im Haus war alles still. Es war, als habe es sich in sich selbst zurückgezogen, um über seinen Geheimnissen zu brüten.
    Es war zwanzig vor neun, als Maigret den Messinggriff der elektrischen Klingel zog. Sie hörten Schritte näherkommen, und ein ziemlich junges, recht hübsches Dienstmädchen in schwarzem Kleid und kokettem Schürzchen öffnete ihnen die Tür.
    »Wenn die Herren bitte ablegen wollen …«
    Er hatte sich gefragt, ob Gouin sie im Salon, also sozusagen im privaten Teil seiner Wohnung empfangen würde. Die Antwort auf diese Frage blieb vorläufig aus. Das Mädchen hängte die Mäntel in einen Wandschrank, ließ die Besucher im Vorzimmer warten und verschwand.
    Statt ihrer kam Gouin. Hier wirkte er noch größer, noch magerer, als Maigret ihn in Erinnerung hatte. Er sah die beiden kaum an und murmelte nur:
    »Wollen Sie mir bitte folgen …«
    Er ging ihnen durch einen Korridor voran, der in die Bibliothek führte. Die Wände des Raumes waren fast ganz mit gebundenen Büchern bedeckt. Sanftes Licht erhellte den Raum, und im Kamin, der ungleich größer war als der in Lucile Decaux’ Wohnung, brannten Holzscheite.
    »Setzen Sie sich.«
    Er deutete auf ein paar Fauteuils und setzte sich selbst in einen. All das zählte nicht. Lucas, der ohnehin das Gefühl hatte, das fünfte Rad am Wagen zu sein, fühlte sich jetzt noch unbehaglicher, weil er dicht neben dem Feuer sitzen mußte und der Sessel für seine kurzen Beine zu tief war.
    »Ich hatte erwartet, daß Sie allein kommen würden.«
    Maigret stellte seinen Mitarbeiter vor:
    »Ich habe Inspektor Lucas mitgebracht. Er wird sich ein paar Notizen machen.«
    In diesem Augenblick begegneten sich ihre Blicke zum erstenmal, und Maigret las in den Augen des Professors etwas wie einen Vorwurf. Vielleicht – aber dessen war er nicht ganz sicher – sprach auch Enttäuschung daraus. Das war schon deshalb schwer zu sagen, weil Gouin äußerlich eher banal wirkte. Man mußte an gewisse Schauspieler denken, an gewisse Baß-Sänger vor allem, die den gleichen großen, knochigen Körper, die gleichen stark ausgeprägten Gesichtszüge und die gleichen Säcke unter den Augen haben.
    Die Augen waren klein, hell und ohne besonderen Glanz. Dennoch hatte sein Blick etwas ungemein Durchdringendes.
    Jetzt, da dieser Blick auf ihm ruhte, hätte Maigret schwören können, daß Gouin auf ihn ebenso neugierig war wie er auf Gouin.
    Fand auch er ihn banaler, als er sich ihn vorgestellt hatte?
    Lucas zog inzwischen ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche, wodurch er seine Fassung wiedergewann.
    Es war noch nicht abzusehen, in welchem Ton die Unterredung geführt werden würde, und Maigret beschloß, erst einmal zu schweigen und abzuwarten.
    »Glauben Sie nicht, Monsieur Maigret, daß es vernünftiger gewesen wäre, wenn Sie sich direkt an mich gewandt hätten, statt meine arme Assistentin zu belästigen?«
    Seine Stimme war nüchtern und eintönig, als spräche er von völlig belanglosen Dingen.
    »Sie meinen Mademoiselle Decaux? Sie schien mir nicht im geringsten verlegen zu sein. Ich nehme an, daß sie Sie gleich nachher angerufen und Ihnen alles getreulich mitgeteilt hat?«
    »Sie hat mir alle Fragen und Antworten wiederholt. Sie hielt das für wichtig. Frauen haben fortwährend das Bedürfnis, sich von der eigenen Wichtigkeit zu überzeugen.«
    »Lucile Decaux ist Ihre engste Mitarbeiterin, nicht wahr?«
    »Sie ist meine Assistentin.«
    »Ist sie nicht auch Ihre Sekretärin?«
    »Ganz richtig. Sie hat Ihnen wohl auch erzählt, daß sie mich überallhin begleitet. Das gibt ihr die Illusion, in meinem Leben eine wesentliche Rolle zu spielen.«
    »Ist sie in Sie verliebt?«
    »Sie wäre in jeden ihrer Vorgesetzten verliebt, vorausgesetzt, daß er berühmt ist.«
    »Sie scheint Ihnen äußerst ergeben zu sein. So ergeben, daß sie beispielsweise sogar einen
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