Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
mit Tausendfrancs-Scheinen an. Die Negermusik grassierte auf dem Montmartre, und die reichen Damen reifen Alters ließen sich beim Thé dansant von argentinischen Gigolos um ihre Juwelen erleichtern.
    La Garçonne erreichte astronomische Auflagen. Die Sittenpolizei wurde von den ›Partouzes‹ im Bois de Boulogne in Atem gehalten und wagte doch kaum einzugreifen aus Angst, die Herren vom diplomatischen Korps bei ihren Spielchen zu stören.
    Die Haare der Frauen waren kurz, die Kleider auch, und die Männer trugen spitze Schuhe und enganliegende Hosen.
    Das alles erklärt nichts, ich weiß. Aber es gehört zum Ganzen. Und ich sehe wieder den jungen Sim, wie er am Morgen in mein Büro kommt, als wäre er inzwischen einer meiner Inspektoren geworden, wie er mir freundlich zuruft: »Lassen Sie sich nicht stören …«, und sich in eine Ecke setzt.
    Er machte sich noch immer keine Notizen. Er fragte selten. Eher hätte er etwas behauptet. Später hat er mir erklärt – was nicht heißen will, daß ich ihm glaubte –, daß die Reaktionen eines Menschen auf eine Behauptung aufschlußreicher sind als seine Antworten auf eine präzise Frage.
    Eines Tages, als Lucas, Janvier und ich zum Mittagsaperitif in die Brasserie Dauphine gingen, wie wir das häufig taten, folgte er uns.
    Und eines Morgens beim Rapport im Büro des Chefs sah ich, daß er sich in einem Winkel häuslich niedergelassen hatte.
    So ging es einige Monate lang weiter. Als ich ihn fragte, ob er überhaupt schreibe, antwortete er:
    »Kitschromane, ja, immer noch um Geld zu verdienen. Jeden Morgen von vier bis acht. Um acht Uhr ist mein Tagewerk beendet. An meine ›halb-literarischen‹ Romane wage ich mich erst, wenn ich spüre, daß ich bereit bin.«
    Ich weiß nicht, was er damit meinte, aber nachdem ich ihn an einem Sonntag zum Mittagessen am Boulevard Richard-Lenoir eingeladen und meiner Frau vorgestellt hatte, hörten seine Besuche am Quai des Orfèvres plötzlich auf.
    Es war komisch, ihn nicht mehr in seiner Ecke sitzen zu sehen, auf seinem Stuhl, von dem er aufstand, wenn ich aufstand, und mir folgte, wenn ich hinausging, und mich auf Schritt und Tritt durch die Büros begleitete. Im Frühjahr erhielt ich eine eher unerwartete Mitteilung.
     
    Georges Sim gibt sich die Ehre, Sie zur Taufe seines Schiffs Ostrogoth, die der Herr Pfarrer von Notre-Dame am kommenden Dienstag beim Square du Vert-Galant vollziehen wird, herzlich einzuladen.
     
    Ich bin nicht hingegangen. Durch das Polizeirevier habe ich erfahren, daß an Bord eines mitten in Paris vor Anker liegenden, großartig beflaggten Schiffs eine ausgelassene Bande drei Tage und drei Nächte lang ein ungeheures Spektakel vollführte.
    Als ich einmal den Pont-Neuf überquerte, sah ich das bewußte Schiff und am Fuß des Mastes einen Mann mit einer Hochsee-Skippermütze, der auf einer Schreibmaschine hämmerte.
    Eine Woche später war das Schiff nicht mehr da, und der Square du Vert-Galant hatte sein vertrautes Aussehen zurückgewonnen.
    Mehr als ein Jahr später erhielt ich eine neue Einladung, diesmal auf einem Formular geschrieben, das wir für Fingerabdrücke benützen.
     
    Georges Simenon gibt sich die Ehre, Sie zu einem anthropometrischen Ball einzuladen, der anläßlich des Starts seiner Kriminalroman-Reihe in der Boule Blanche stattfinden wird.
     
    Aus dem Sim war ein Simenon geworden.
    Genauer, er hatte seinen richtigen Namen wieder angenommen, vielleicht weil er sich jetzt als Erwachsener fühlte.
    Wie auch immer, es kümmerte mich nicht. Ich ging nicht zum Ball und tags darauf erfuhr ich, daß der Polizeipräfekt dort gewesen war.
    Aus den Zeitungen. Den gleichen Zeitungen, die mich auf der Titelseite darüber belehrten, daß Kommissar Maigret soeben einen lärmenden Einzug in die Kriminalroman-Literatur gehalten hatte.
    Als ich an jenem Morgen an den Quai kam und die breite Treppe hinaufging, sah ich nichts als grinsende Gesichter, die sich schnell abwandten.
    Meine Inspektoren bemühten sich krampfhaft, ernst zu bleiben. Beim Rapport behandelten mich die Kollegen, als empfänden sie neuen Respekt vor mir.
    Nur der große Chef tat, als wäre nichts geschehen. Mit zerstreuter Miene fragte er mich:
    »Und Sie, Maigret? Was machen Ihre laufenden Fälle?«
    In den Quartiergeschäften am Boulevard Richard-Lenoir gab es keinen Verkäufer, der meiner Frau nicht die Zeitung mit meinem groß gedruckten Namen gezeigt und sie, sichtlich beeindruckt, gefragt hätte:
    »Das ist doch Ihr Mann, nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher