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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren
Autoren: Georges Simenon
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unten verstaubt, mit Möbeln aus schwarzem Holz und einem Kohleofen von der Art, wie man sie nur noch in gewissen Provinzbahnhöfen sieht.
    Es war das Büro, wo ich meine Laufbahn begonnen und fast fünfzehn Jahre lang als Inspektor gearbeitet hatte, und ich gestehe, daß ich mit einer gewissen Zärtlichkeit an dem unförmigen Ofen hing. Es war schön, im Winter zuzusehen, wie das Gußeisen zu glühen begann. Ich hatte ihn immer bis zum Rand gefüllt.
    Es war nicht so sehr eine Manie als ein Vorwand, ja fast eine List gewesen. Mitten in einem schwierigen Verhör stand ich auf und begann umständlich im Ofen zu stochern und dann polternd Kohlen zu schaufeln, all das mit harmloser Miene, während mein Kunde, völlig aus der Fassung gebracht, mein Tun beobachtete.
    Es stimmt auch, daß ich meinem alten Ofen nachgetrauert habe, als ich endlich ein modernes Büro mit Zentralheizung bekam, aber in die neue Umgebung durfte ich ihn nicht mitnehmen; ich habe auch gar nicht darum gebeten, man hätte es glattweg abgelehnt.
    Der Leser nehme es mir nicht übel, wenn ich bei diesen Einzelheiten verweile, aber es ist mir mehr oder weniger klar, was ich damit bezwecke.
    Mein Gast betrachtete meine Pfeifen, die Aschenbecher, die schwarze Marmoruhr auf dem Kaminsims, das kleine Emailbecken hinter der Tür, das Handtuch, das immer nach nassem Hundefell riecht.
    Er stellte mir keine einzige technische Frage. Die Akten schienen ihn überhaupt nicht zu interessieren.
    »Diese Treppe führt zum Laboratorium.«
    Auch dort betrachtete er das zum Teil verglaste Dach, die Wände, die Fußböden, die Puppe, die für gewisse Rekonstruktionen benutzt wird, doch das eigentliche Laboratorium mit seinen komplizierten Apparaten und die Arbeit, die hier geleistet wurde, interessierten ihn nicht.
    Aus lauter Gewohnheit wollte ich erklären:
    »Wenn man einen geschriebenen Text hundert- und aberhundertmal vergrößert und dann vergleicht …«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Das war der Augenblick, da er mich in nachlässigem Ton fragte:
    »Haben Sie Hans Groß gelesen?«
    Den Namen hatte ich nie gehört. Später habe ich erfahren, daß es sich um einen österreichischen Untersuchungsrichter handelte, der um 1880 den ersten Lehrstuhl für wissenschaftliche Kriminalistik an der Universität Wien innehatte.
    Mein Besucher hatte seine beiden dicken Bände natürlich gelesen. Er hatte überhaupt alles gelesen, Haufen von Büchern, von denen ich nicht einmal wußte, daß es sie gab, und deren Titel er nur so nebenbei erwähnte.
    »Kommen Sie mit in diesen Korridor, damit ich Ihnen das Archiv zeigen kann, wo wir die Karteien von …«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Er begann mir auf die Nerven zu fallen. Hatte er mich nur deshalb gestört, damit er Mauern, Decken, Fußböden und uns alle begutachten konnte, als müßte er ein Inventar erstellen?
    »Um diese Zeit herrscht Massenbetrieb in der Anthropometric Mit den Frauen sind sie wohl schon fertig. Jetzt kommen die Männer dran …«
    Es mochten ihrer zwanzig sein, die Ernte einer Nacht. Sie standen splitternackt da, während sie der Reihe nach gemessen und fotografiert wurden.
    »Und jetzt«, sagte der junge Mann, »muß ich nur noch die Medizinische Sonderabteilung im ›Dépôt‹ sehen.«
    Ich runzelte die Brauen.
    »Besucher haben dort keinen Zutritt.«
    Die Abteilung ist einer der am wenigsten bekannten Orte am Quai. Verbrecher und verdächtige Personen werden dort von Gerichtsmedizinern allen möglichen psychologischen Tests unterzogen.
    »Paul Bourget pflegte an den Untersuchungen teilzunehmen«, erwiderte mein Besucher gleichmütig. »Ich werde mir eine Erlaubnis beschaffen.«
    Nachträglich blieb mir nur eine farblose Erinnerung an den Besuch, farblos wie das Wetter an jenem Tag. Wenn ich nichts tat, um das Ganze abzukürzen, so lag dies zunächst daran, daß der große Chef mir den jungen Mann empfohlen hatte, zweitens hatte ich im Augenblick nichts Wichtiges zu tun und konnte mir deshalb getrost etwas die Zeit vertreiben.
    Er kam dann nochmals in mein Büro, setzte sich und hielt mir seinen Tabakbeutel hin.
    »Ich sehe, Sie sind auch Pfeifenraucher. Ich mag Pfeifenraucher.«
    Wie immer lag ein gutes halbes Dutzend Pfeifen auf dem Schreibtisch verstreut. Er betrachtete sie mit Kennermiene.
    »Womit beschäftigen Sie sich im Augenblick?«
    In meinem berufsmäßigsten Ton erzählte ich ihm die Geschichte mit der Kiste vor der Tür des Juwelierladens, wobei ich auch erwähnte, daß diese Methode zum
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