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Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Titel: Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
Autoren: Georges Simenon
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höflich. Nie habe ich jemanden gesehen, der so höflich ist. Es ekelt einen an. Aber an dem Tag, da man ihm den Kopf abhaut …«
    »Verzeihung, Madame …«
    »Nicht soviel Verzeihung, Herr Kommissar. Ich hatte eine Enkelin, eine einzige, die Tochter dieses unseligen Malik. Denn mein Schwiegersohn heißt Malik. Auch das müssen Sie wissen. Charles Malik … Meine Enkeltochter Monita wäre in der nächsten Woche achtzehn Jahre alt geworden …«
    »Wollen Sie damit sagen, daß sie tot ist?«
    »Seit genau sieben Tagen. Wir haben sie vorgestern beerdigt. Sie wurde ertrunken am unteren Stauwehr gefunden … Und wenn Bernadette Amorelle Ihnen sagt, daß das kein Unfall war, dann können Sie ihr glauben. Monita konnte schwimmen wie ein Fisch. Man wird versuchen, Ihnen einzureden, daß sie unvernünftig war, daß sie morgens um sechs oder manchmal in der Nacht allein baden ging. Sie hätte sich nicht einfach so ertränkt. Und wenn sie darauf beharren, daß sie sich vielleicht das Leben nehmen wollte, so erwidern Sie, das sei eine Lüge.«
    Übergangslos hatte sich die Komödie in eine Tragödie verwandelt, merkwürdig war nur, daß der Ton komödiantisch blieb.
    Die alte Dame weinte nicht. In ihren erstaunlich dunklen Augen war nicht einmal ein feuchter Schimmer. Ihr ganzes trockenes und nervöses Wesen wurde weiterhin von der gleichen Vitalität gespeist, die trotz allem etwas recht Komisches hatte.
    Sie ging unbeirrt ihren Weg, verfolgte ihr Ziel, ohne sich um die üblichen Förmlichkeiten zu scheren. Sie blickte Maigret an und schien keinen Augenblick daran zu zweifeln, daß er ganz auf ihrer Seite stand, einfach, weil sie es so wollte.
    Sie war heimlich weggefahren, mit einem unmöglichen Auto und einem jungen Burschen, der es kaum steuern konnte. So hatte sie die gesamte Beauce durchquert, ohne Mittag zu essen, und in den heißesten Stunden des Tages. Jetzt sah sie auf ihre Uhr, die sie nach alter Mode an einer Halskette trug.
    »Wenn Sie mir Fragen zu stellen haben, tun Sie es schnell«, erklärte sie, schon bereit, sich zu erheben.
    »Sie lieben Ihren Schwiegersohn nicht, wenn ich recht verstanden habe.«
    »Ich hasse ihn.«
    »Haßt Ihre Tochter ihn auch? Ist sie unglücklich mit ihm?«
    »Ich weiß es nicht, das ist mir gleichgültig.«
    »Sie verstehen sich nicht mit Ihrer Tochter?«
    »Ich würde sie lieber nicht zur Kenntnis nehmen. Sie hat keinen Charakter, kein Blut in den Adern.«
    »Sie sagten, daß sich Ihre Enkelin vor sieben Tagen, also am Dienstag letzter Woche, in der Seine ertränkt hat.«
    »Nie im Leben. Sie sollten besser aufpassen, wenn ich Ihnen etwas erzähle. Monita ist oberhalb des Stauwehrs tot aus der Seine geborgen worden.«
    »Aber sie zeigte keine Verletzungen, und der Arzt hat sie zur Bestattung freigegeben?«
    Sie blickte ihn lediglich mit dem Ausdruck höchster Verachtung, vielleicht mit einer Spur Mitleid an.
    »Sie sind die einzige, soviel ich verstehe, die die Vermutung hegt, daß es sich um einen unnatürlichen Tod handeln könnte.«
    Diesmal erhob sie sich.
    »Hören Sie, Kommissar. Sie stehen in dem Ruf, der intelligenteste Polizist von Frankreich zu sein. Zumindest derjenige, der die meisten Erfolge zu verzeichnen hatte. Ziehen Sie sich um. Packen Sie Ihren Koffer. In einer halben Stunde setze ich Sie am Bahnhof von Aubrais ab. Heute abend um sieben sind Sie im ›Ange‹. Es ist besser, wir tun so, als ob wir uns nicht kennen. François wird täglich gegen Mittag seinen Aperitif im ›Ange‹ trinken. Normalerweise trinkt er nicht, aber ich werde es ihm befehlen. Damit wir in Verbindung bleiben können, ohne daß den anderen gleich ein Floh ins Ohr gesetzt wird.«
    Sie machte ein paar Schritte in Richtung Garten, offenbar entschlossen, trotz der Hitze dort so lange spazierenzugehen, bis er fertig war.
    »Beeilen Sie sich.«
    Dann drehte sie sich noch einmal um:
    »Vielleicht sind Sie so gut, François etwas zu trinken bringen zu lassen. Er muß im Auto sitzen. Eine Schorle. Keinen reinen Wein, er soll mich schließlich nach Hause bringen, und er ist kein geübter Fahrer.«
    Madame Maigret, die alles gehört haben mußte, stand hinter der Dielentür.
    »Was hast du vor, Maigret?« fragte sie, als sie sah, daß er auf die Treppe mit dem Messingknauf zuging.
    Es war vergleichsweise kühl im Haus, wo es nach Bohnerwachs, trocknendem Heu, reifenden Früchten und Küchendüften roch. Dieser Geruch, der ihn an seine Kindheit, an das Heim seiner Eltern, erinnerte, war Maigret nach
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