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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Autoren: Georges Simenon
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sagte die junge Frau.
    Auch ihre Stimme überraschte Maigret, obwohl er doch vom Fenster Ducraus aus bereits das Gefühl gehabt hatte, mit Aline stimme etwas nicht; wie eine ätherische Erscheinung hatte sie aus der Ferne gewirkt.
    Nicht etwa, weil sie dünn oder schwächlich gewesen wäre. Im Gegenteil, wenn man sie aus der Nähe sah, war sie eine junge Frau mit einem straffen, von Leben erfüllten Körper. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig, und ihr gebräunter Teint kontrastierte mit dem Hellblond der Haare.
    Wieso nur war dann der Gesamteindruck der eines hilflosen, schutzbedürftigen Wesens, das man hätte vor Unheil bewahren oder trösten mögen?
    »Ist das Ihr Kind?«
    Maigret wies, um etwas zu sagen, auf das Baby, neben dessen Holzwiege er stand.
    »Mein Patenkind.«
    Sie lächelte freundlich, gleichzeitig aber etwas furchtsam.
    »Sie sind die Tochter Gassins, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Die Stimme war die eines Kindes, und sie war auch folgsam wie ein braves Kind, dem man Fragen stellt.
    »Es ist mir peinlich, Sie in diesem Moment zu stören. Da Sie aber vorgestern hier waren, als diese Dinge geschahen, hätte ich gern gewusst, ob an jenem Abend niemand hier an Bord kam. Zum Beispiel Émile Ducrau.«
    »Doch.«
    Darauf war Maigret nicht im Geringsten gefasst gewesen, und er fragte sich, ob sie seine Frage überhaupt richtig verstanden hatte.
    »Sie sind sicher, dass Ducrau am Abend des Anschlags auf ihn hierherkam?«
    »Ich habe mich vor ihm eingeschlossen.«
    »War er auf Deck?«
    »Ja. Dann hat er gerufen. Ich wollte gerade ins Bett gehen.«
    Maigret sah halb in eine zweite, engere Kajüte, in der eine Koje eingerichtet war. Noch im Sprechen hatte die junge Frau vorsichtig das Kind von ihrer Brust genommen, wischte ihm das Kinn ab und schloss dann ihre Bluse.
    »Um wie viel Uhr war das?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »War es lange, bevor Ihr Vater ins Wasser fiel?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ohne ersichtlichen Grund wurde sie unruhig. Sie erhob sich, um das Kleinkind in die Wiege zu legen, und da es den Mund öffnete, um zu schreien, hielt sie ihm einen roten Gummischnuller hin.
    »Kennen Sie Ducrau näher?«
    »Ja.«
    Sie schürte das Feuer im Herd und gab Salz zu den Kartoffeln, die in einer Pfanne garten. Maigret, der jede ihrer Bewegungen verfolgte, hatte begriffen. Sie mochte wohl nicht verrückt sein, aber von der Außenwelt war sie wie durch einen Schleier getrennt. Alles war gedämpft, abgeschwächt, ihre Stimme, ihre Gebärden, ihr Lächeln. Denn sie lächelte entschuldigend, als sie an Maigret vorbeiging.
    »Wissen Sie, was Ducrau wollte?«
    »Immer dasselbe!«
    Das Unbehagen des Kommissars wuchs. Er bekam ganz feuchte Hände davon. Jeder Satz der jungen Frau konnte dramatische Folgen haben. Mit jeder Frage wurde das Geheimnis weniger undurchdringlich, und doch hatte Maigret Angst, Fragen zu stellen. War sie sich überhaupt bewusst, was sie ihm sagte? Würde sie nicht ohnehin auf alle Fragen mit Ja antworten?
    »Sie sprechen doch vom jungen Ducrau?«, fragte er probehalber mit brummender Stimme.
    »Jean ist nicht gekommen.«
    »Sein Vater macht Ihnen also den Hof?«
    Ihr Blick heftete sich einen Augenblick auf Maigrets Gesicht, dann wandte sie den Kopf ab. Nun wollte er damit aber Schluss machen. Er war einer möglichen Enthüllung zu nahe.
    »Das ist der Grund, weshalb er hierherkommt, nicht wahr? Er verfolgt Sie. Es versucht …«
    Er unterbrach sich abrupt, denn sie hatte zu weinen begonnen, und er wusste nicht mehr, was er sagen sollte.
    »Ich bitte Sie um Entschuldigung. Denken Sie nicht mehr daran.«
    Sie stand so nahe bei ihm, dass er ihr automatisch die Schultern tätschelte. Und das war nun noch ungeschickter! Sie wich mit einem Sprung zurück, verzog sich in die zweite Kajüte und verschloss die Tür. Noch immer schluchzte sie auf der andern Seite der Trennwand. Das Baby hatte seinen Schnuller verloren und weinte auch. Maigret gab ihn ihm ungeschickt wieder.
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gehen. Die Treppe war niedrig, und er schlug sich den Kopf oben an der Ausstiegsluke an. Er war darauf gefasst, den alten Gassin auf Deck anzutreffen, aber kein Mensch war in der Nähe außer den Nachbarn, die neben dem Steuerruder bei Tisch saßen und ihm nachblickten, wie er davonging.
    Auch auf dem Quai keine Spur von Gassin. Als Maigret auf der Straße oben ankam, sah er, dass vor dem hohen Haus ein Auto hielt, irgendein Mittelklassewagen. Er trug die Kennzeichen des Départements
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