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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17
Autoren: Simenon
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stand auf und überlegte, ob er das gewohnte Ritual einhalten sollte oder nicht. Aber die Frau bot ihm schon die Stirn, und er drückte mechanisch einen Kuß darauf, wobei er errötete, wegen Maigret. Sylvie kam mit dem Glas zurück.
    »Du gehst?«
    »Ja.«
    Er küßte sie ebenfalls auf die Stirn, deutete linkisch einen an Maigret gerichteten Gruß an, stolperte über die Treppenstufe und segelte buchstäblich hinaus auf die Straße, indem er seine Mütze zurechtsetzte.
    »Das ist ein Junge! Er geht nicht bummeln wie die meisten Matrosen von den Yachten. Er kommt lieber hierher.«
    Auch sie hatte fertiggegessen. Sie setzte sich auf ihrem Stuhl zurecht, die Ellbogen auf dem Tisch.
    »Bringst du den Kaffee, Sylvie?«
    Man hörte kaum Geräusche von der Straße. Ohne das Sonnenrechteck hätte man gar nicht sagen können, welche Tages- oder Nachtzeit war. Ein Wecker, der auf dem Kamin stand, zeigte an, wie die Zeit verging.
    »Also, was wollen Sie wissen? Auf Ihr Wohl! Es ist noch ein Whisky von William.«
    »Wie nennt man Sie?«
    »Jaja. Wenn sie mich aufziehen wollen, sagen sie die dicke Jaja.«
    Sie schaute auf ihren enormen Busen nieder, der auf der Tischkante ruhte.
    »Kannten Sie William schon lange?«
    Sylvie hatte sich wieder auf ihren Stuhl gesetzt, stützte das Kinn in die Hand und musterte Maigret unverhohlen. Der Ärmel ihres Morgenrocks hing in den Teller.
    »Fast hätte ich gesagt, schon immer. Nur seinen Nachnamen habe ich erst letzte Woche erfahren. Dazu muß ich noch sagen, daß die Liberty Bar zu der Zeit, als mein Mann noch lebte, ein berühmtes Lokal war. Es waren immer Künstler und Artisten hier. Und um die zu sehen, kam dann auch die reiche Kundschaft her.
    Vor allem die Yachtbesitzer, die sind fast durch die Bank Säufer und sonderbare Typen. Ich erinnere mich, daß ich William damals oft hier gesehen habe. Er trug eine weiße Mütze und kam in Begleitung von Freunden und hübschen Frauen.
    Es war immer eine ganze Bande. Sie tranken Champagner bis in die frühen Morgenstunden und gaben für das ganze Lokal Runden aus.
    Dann ist mein Mann gestorben. Ich habe einen Monat zugemacht. Es war gerade keine Saison. Im nächsten Winter mußte ich drei Wochen ins Krankenhaus wegen einer Bauchfellentzündung.
    Jemand hat das ausgenützt, um direkt am Hafen ein neues Lokal aufzumachen.
    Seitdem ist es hier ruhig geworden. Ich geb mir auch gar keine Mühe mehr, Gäste anzulocken.
    Eines Tages ist William wieder hergekommen, und dann erst habe ich ihn richtig kennengelernt. Wir haben ’ne Menge getrunken und uns dabei Geschichten erzählt. Er hat auf dem Sofa geschlafen, weil er sich nicht mehr aufrecht halten konnte.«
    »Trug er da immer noch die Kapitänsmütze?«
    »Nein. Er war auch nicht mehr derselbe. Er wurde traurig, wenn er was getrunken hatte. Von da an hat er mich dann regelmäßig besucht.«
    »Wußten Sie, wo er wohnte?«
    »Nein. Ich hatte Besseres zu tun, als ihn auszufragen. Und er hat selber auch nie über seine Angelegenheiten geredet.«
    »Blieb erlange?«
    »Drei, vier Tage. Er brachte was zu essen mit, oder er gab mir Geld zum Einkaufen. Er hat gesagt, er kriegt nirgendwo so gutes Essen wie hier.«
    Maigret betrachtete das rosa Fleisch des Hammelbratens und die Reste des duftenden Salats. Es sah wirklich appetitanregend aus.
    »War Sylvie auch schon hier?«
    »Aber wo denken Sie hin! Sie ist gerade erst einundzwanzig Jahre alt.«
    »Wo haben Sie sie kennengelernt?«
    Als Sylvie ein unfreundliches Gesicht machte, sagte Jaja zu ihr:
    »Na geh schon! Der Kommissar weiß schließlich, was los ist. Es war an einem Abend, als William da war. Nur wir beide waren hier. Sylvie kam mit ein paar komischen Typen, die sie weiß Gott wo aufgelesen hatte, Geschäftsreisende oder so. Sie waren schon ziemlich blau und bestellten was zu trinken. Was Sylvie anging, so sah man sofort, daß sie eine Neue war. Sie wollte sie weiterzerren, bevor sie besoffen waren, aber sie wußte nicht, wie man das anstellt. Und dann kam natürlich, was kommen mußte. Am Ende waren die Kerle so sternhagelvoll, daß sie sich nicht mehr um sie gekümmert haben und ohne sie losgezogen sind. Sie hat geweint, und dann hat sie zugegeben, daß sie für diese Saison aus Paris gekommen ist und daß sie nicht mal was hatte, um das Hotelzimmer zu bezahlen. Sie hat bei mir geschlafen, und dann ist sie öfter hergekommen …«
    »Offenbar nehmen alle Leute, die hierherkommen, diese Gewohnheit an«, murmelte Maigret.
    »Was wollen Sie!«
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