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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17
Autoren: Simenon
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erwiderte die Alte strahlend. »Es ist ein gottgefälliges Haus. Wir machen nicht viel Aufhebens. Wir nehmen die Dinge, wie sie sind.«
    Sie sprach sehr offenherzig. Ihr Blick wanderte auf Sylvies Brust, und sie seufzte.
    »Schade, daß sie nicht kräftiger ist. Man sieht ja die Rippen rausstehen. William hätte ihr für einen Monat ein Sanatorium bezahlt, aber sie wollte nie.«
    »Verzeihung! Waren William und sie …«
    Sylvie beantwortete die Frage selbst:
    »Niemals! Das ist nicht wahr!« rief sie wütend.
    Die dicke Jaja erklärte, während sie ihren Kaffee schlürfte:
    »Er war nicht der Mann, der so was macht. Schon gar nicht mit ihr. Ich will ja nicht sagen, daß er nicht ab und zu …«
    »Mit wem?«
    »Mit irgendwelchen Frauen, die er irgendwo aufgabelte. Aber das war selten. Es interessierte ihn nicht sonderlich.«
    »Um welche Uhrzeit ist er am Freitag hier weggegangen?«
    »Gleich nach dem Mittagessen. Es muß zwei Uhr gewesen sein, wie jetzt.«
    »Hat er gesagt, wo er hinwollte?«
    »Das hat er nie gesagt.«
    »War Sylvie auch da?«
    »Sie ist ein paar Minuten vor ihm gegangen.«
    »Wohin?« fragte er.
    »Wohin schon!« antwortete sie verächtlich.
    »Zum Hafen? Ist da …?«
    »Da und anderswo.«
    »War sonst noch jemand im Lokal?«
    »Nein, niemand. Es war sehr heiß. Ich war ein Stündchen eingeschlafen.«
    Es waren also noch über fünf Stunden, bis William Brown mit dem Auto in Antibes ankam.
    »Ging er auch in andere Lokale?«
    »Nein, nie. Die andern sind nicht wie das hier!«
    Ganz offensichtlich! Selbst Maigret, der erst eine Stunde hier saß, schien es, als kenne er es schon lange. Lag es daran, daß es kein Personal gab? Oder an der schläfrigen und lockeren Atmosphäre?
    Man brachte es kaum mehr über sich, aufzustehen und zu gehen. Die Minuten schlichen dahin. Auf dem bleichen Zifferblatt des Weckers rückten die Zeiger langsam vor. Und das Sonnenrechteck des Kellerfensters wurde zunehmend kleiner.
    »Ich habe es in der Zeitung gelesen. Ich wußte nicht mal Williams Familiennamen. Aber ich habe ihn auf dem Foto wiedererkannt. Wir haben viel geweint, Sylvie und ich. Was hat er eigentlich mit den zwei Frauen gewollt? Aber in unserer Lage mischt man sich nicht ein in solche Sachen, nicht wahr? Ich habe jeden Augenblick damit gerechnet, daß die Polizei kommt. Als Sie aus der Bar gegenüber rausgekommen sind, hab ich’s mir schon gedacht …«
    Sie sprach schwerfällig. Sie füllte die Gläser nach und trank den Schnaps in kleinen Schlucken.
    »Der das gemacht hat, ist ein gemeiner Schuft! Männer wie William gibt’s nicht viele. Und darin kenn ich mich aus!«
    »Hat er nie über seine Vergangenheit gesprochen?«
    Sie seufzte. Wollte Maigret denn nicht begreifen, daß dieses Haus eines war, in dem man gerade nicht über die Vergangenheit sprach ?
    »Er war ein richtiger Gentleman! Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Einer, der mal sehr reich gewesen ist, oder vielleicht war er’s immer noch, was weiß ich. Er hat eine Yacht gehabt, einen Haufen Untergebene …«
    »Wirkte er unglücklich?«
    Wieder seufzte sie tief.
    »Verstehen Sie denn wirklich nicht? Sie haben eben Jan gesehen. Wirkt er unglücklich? Aber das ist natürlich nicht dasselbe. Oder sehe ich vielleicht unglücklich aus? Trotzdem trinken wir uns einen an und erzählen uns Geschichten, die keine Fortsetzung haben und über die man am liebsten weinen möchte …«
    Sylvie sah sie mißbilligend an. Sie selbst hatte nur Kaffee getrunken, während die dicke Jaja bei ihrem dritten Glas Whisky angelangt war.
    »Ich bin sehr froh, daß Sie gekommen sind, dann hab ich’s hinter mir. Wir haben nichts zu verbergen, und wir haben uns nichts vorzuwerfen. Aber man weiß ja nie, wenn die Polizei kommt, was dann … Sehn Sie, wenn’s die Polizei von Cannes wäre, die hätte mich schon längst eingesperrt, da bin ich sicher …«
    »Gab William viel Geld aus?«
    Verlor sie nicht bald die Geduld, wenn sie ihm weiter ständig die Situation klarmachen mußte?
    »Er gab es aus. Ohne es unbedingt zu verschwenden. Er gab uns was, damit wir was zu essen und zu trinken holen konnten. Manchmal bezahlte er die Gasrechnung oder den Strom, und manchmal gab er Sylvie hundert Francs, um sich Strümpfe zu kaufen.«
    Maigret hatte Hunger, und nur wenige Zentimeter vor seiner Nase lag der saftige Hammelbraten. Zwei abgeschnittene Scheiben lagen noch auf der Platte. Er nahm sich eine mit den Fingern und aß sie, während er weiterredete, so als gehörte
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