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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17
Autoren: Simenon
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er ebenfalls zur Familie.
    »Bringt Sylvie ihre Kunden mit hierher?«
    »Nein, nie. Da würde man uns sofort einsperren. Es gibt dafür in Cannes genug Hotels.«
    Sie sah Maigret in die Augen und fügte hinzu:
    »Glauben Sie, daß es seine Frauen waren, die ihn …?«
    In demselben Augenblick wandte sie den Kopf zur Tür. Sylvie erhob sich ein wenig vom Stuhl, um durch den Tüllvorhang zu spähen. Jemand hatte die Tür an der Straße geöffnet. Er ging durch die Bar, stieß die zweite Tür auf und blieb erstaunt stehen, als er ein neues Gesicht erblickte.
    Sylvie stand auf, und Jaja, vielleicht ein wenig gerötet im Gesicht, sagte zu dem Neuankömmling:
    »Komm rein. Das ist der Kommissar, der sich mit Williams Fall beschäftigt.«
    Und zu Maigret:
    »Ein Freund, Joseph. Er ist Kellner im Casino.«
    Man konnte es an der weißen Hemdbrust und dem Knoten der schwarzen Krawatte sehen, die Joseph unter einem grauen Anzug trug, und an den Lackschuhen.
    »Ich komm später wieder«, sagte er.
    »Aber nein. Komm ruhig rein.«
    Er blieb unentschlossen.
    »Ich wollte nur im Vorbeigehen guten Tag sagen. Ich hab einen Tip auf die Nummer zwei und …«
    »Sie wetten?« fragte Maigret und wandte sich halb zu dem Kellner um.
    »Ab und zu. Manche Kunden geben mir einen Tip. Ich muß jetzt wieder weg.«
    Er verzog sich. Der Kommissar glaubte zu bemerken, daß er Sylvie ein Zeichen machte. Sie hatte sich wieder hingesetzt, und Jaja seufzte:
    »Er wird wieder verlieren. Eigentlich ist er kein schlechter Junge …«
    »Ich muß mich anziehen«, sagte Sylvie und stand auf. Dabei klaffte ihr Morgenmantel weit auf und entblößte fast ihren ganzen Körper, ohne die geringste Provokation, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt.
    Sie ging die Treppe hinauf in den Zwischenstock, wo man sie herumgehen hörte. Maigret kam es so vor, als ob die dicke Jaja lauschte.
    »Manchmal wettet sie auch … Sie hat durch Williams Tod am meisten verloren …«
    Maigret stand ruckartig auf, ging durch die Bar und riß die Tür zur Straße auf. Aber es war zu spät. Joseph entfernte sich bereits mit langen Schritten, ohne sich umzudrehen, und gleichzeitig schloß sich ein Fenster im oberen Stock.
    »Was war?«
    »Nichts. Ich hatte nur so eine Idee.«
    »Noch ein Glas? Und Sie wissen ja, wenn Ihnen der Hammelbraten schmeckt …«
    Sylvie kam herunter. Sie sah so anders aus, daß man sie kaum mehr wiedererkannte. Sie trug ein marineblaues Schneiderkostüm, in dem sie wie ein junges Mädchen wirkte. Eine weißseidene Hemdbluse ließ die leicht zitternden kleinen Brüste wahrhaft begehrenswert erscheinen, obwohl Maigret sie ja vorhin bereits eine Weile gesehen hatte. Der Rock umspannte einen kleinen Bauch und bewegliche Hüften, und die Seidenstrümpfe lagen straff an den Beinen.
    »Bis heute abend!«
    Auch sie küßte Jaja auf die Stirn, dann drehte sie sich zögernd zu Maigret um. Wollte sie gehen, ohne ihm auf Wiedersehen zu sagen, oder überlegte sie, ob sie ihm eine Beleidigung an den Kopf werfen sollte?
    Jedenfalls gab sie deutlich ihre Feindseligkeit zu erkennen und versuchte gar nicht erst, ihm etwas vorzumachen.
    »Guten Tag. Ich nehme an, Sie brauchen mich nicht mehr«, sagte sie schroff.
    Sie wartete noch einen kurzen Augenblick, dann ging sie mit energischen Schritten hinaus.
    Jaja lachte und füllte die Gläser.
    »Machen Sie sich nichts draus. Sie ist noch jung und dumm. Soll ich Ihnen einen Teller bringen, damit Sie den Salat probieren können?«
    Das leere Lokal mit seinem Fenster zur Straße, der Zwischenstock über der gewundenen Treppe, in dem sicher Unordnung herrschte, das kleine Fenster zum Hof, aus dem sich langsam die Sonne zurückzog …
    Ein eigentümliches Universum, in dessen Mitte Maigret da vor den Resten des wohlriechenden Salats saß, in Gesellschaft der dicken Frau, die sich auf ihren ausladenden Busen stützte und seufzte:
    »Als ich in ihrem Alter war, hat man mich nicht so herumlaufen lassen!«
    Sie mußte es nicht erst genauer erklären, er konnte sie sich gut vorstellen, in der Umgebung der Porte Saint-Denis oder des Faubourg Montmartre, im grellfarbenen Seidenkleid, durch die Scheiben einer Bar überwacht von ihrem unvermeidlichen Begleiter.
    »Heutzutage …«
    Sie hatte der Flasche zu eifrig zugesprochen. Ihre Augen waren feucht, als sie Maigret ins Gesicht blickte. Ihr kindlicher Mund zog eine Schnute, die auf baldige Tränen schließen ließ.
    »Sie erinnern mich an William. Auf dem Platz saß er
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