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Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost
Autoren: Maren Schwarz
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morgen losgehen.«
    Henning nickte ihm dankbar zu. »Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück. Was mir augenblicklich wesentlich mehr Kopfzerbrechen bereitet«, gestand er offen, »sind die Tiere. Ich habe keine Ahnung, wie man sie versorgt.«
    Wilhelm winkte ab: »Halb so wild«, meinte er nur. »Das Geflügelfutter bekomme ich vom ›Lobb’ster‹, einem Restaurant in der Nähe. Die sind froh, wenn sie ihre Küchenabfälle auf diese Art loswerden. Zudem stehen im Schuppen mit Hafer und Weizen gefüllte Säcke.« Henning schien erleichtert.
    Hinter ihnen räusperte sich Dr. Stiller: »Darf ich Ihren Worten entnehmen«, erkundigte er sich, »dass Sie bereit sind, Julius Bachmanns Erbe anzutreten?«
    »Scheint so, als ob mir nichts anderes übrig bliebe«, bejahte Henning die Frage des Anwalts. Seine Entscheidung fiel rein gefühlsmäßig aus. Denn trotz aller Verwahrlosung hatte der Ort etwas an sich, das ihn anzog, Wärme ausstrahlte, Ruhe und Geborgenheit versprach.
    »Dann werde ich noch heute alle notwendigen Schritte in die Wege leiten. Ich rufe Sie in den nächsten Tagen an, um einen Termin zu vereinbaren.« Nach einem Blick auf seine Uhr verabschiedete sich Dr. Stiller von den beiden Männern.
     
    Von früh bis spät damit beschäftigt, Julius arg heruntergekommenes Heim in ein behagliches Zuhause zu verwandeln, vergingen für Henning die kommenden Wochen wie im Flug. Dabei kam ihm das Geld, das er beim Verkauf von Rüdigers Haus erzielte, gerade recht. Er ließ damit das Dach neu decken und die Fenster auswechseln. Danach erneuerte er mit Wilhelms Hilfe den Anstrich und tapezierte der Reihe nach alle Wohnräume.
    Von Henning unbemerkt, hielten der Sommer und mit ihm die Urlauber Einzug. Letztere nahm er hauptsächlich durch verstopfte Straßen und überfüllte Einkaufsmärkte wahr. Auch Wilhelm stöhnte. Obwohl das Geschäft mit dem Tourismus der Insel jedes Jahr eine schöne Stange Geld bescherte, konnte er sich nicht so recht darüber freuen. Denn im Gegensatz zu vielen seiner Mitbürger dachte er angesichts der Menschenmassen nicht nur an die sicher wünschenswerten wirtschaftlichen Impulse für die ansonsten eher strukturschwache Region, sondern vielmehr an die Spuren der Verwüstung, welche die einfallenden Horden Jahr für Jahr in der Natur hinterließen.
     
    Dank Wilhelms Unterstützung, mit dem ihn eine von Tag zu Tag tiefer werdende Freundschaft verband, gelang es Henning relativ schnell, sich einzuleben. Vom frühen Morgen an bis spät in die Nacht auf den Beinen zu sein, stellte anfangs eine Umstellung für den pensionierten Kommissar dar. Doch mit dem ihm eigenen, unbezwingbaren Willen schaffte er es in erstaunlich kurzer Zeit, sich dem neuen Rhythmus anzupassen. Er lernte die Tiere zu versorgen und die von seinen Hühnern gelegten Eier an Händler und Restaurants auszuliefern, die vor ihm schon zu Julius Bachmanns Kundschaft zählten.
    Nachdem die notwendigsten Renovierungsarbeiten am Haus abgeschlossen waren, begann er das Grundstück zu bewirtschaften.
    Hin und wieder, sofern es seine Zeit zuließ, fuhr er mit Wilhelm und dessen Sohn Peer auf den Bodden hinaus, um zu angeln. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit den beiden Männern staunte Henning über ihre verblüffende Ähnlichkeit. Wäre da nicht dieser gravierende Altersunterschied gewesen, hätte man Vater und Sohn für Brüder halten können. Auch Peer war klein und untersetzt. Als er Henning begrüßte, tat er das genauso offen und freundlich lächelnd wie sein alter Herr. Bei näherer Betrachtung fiel dem Kommissar jedoch auf, dass Vater und Sohn sich mehr als anfangs wahrgenommen voneinander unterschieden. Peers Augen besaßen einen anderen Farbton. Während sich in seinen das Meer widerzuspiegeln schien, glichen Wilhelms goldbraunem Bernstein. Auch kontrastierte sein krauses, aschblondes Haar, das er in geradezu verschwenderischer Fülle zu besitzen schien, mit dem kahlen Schädel seines Vaters.
    Schon bei ihrem ersten Ausflug freundete Henning sich mit Wilhelms Sohn an, der, wie der Zufall es wollte, Kriminalbeamter im Bergener Polizeirevier war. Nachdem die beiden Männer diese Gemeinsamkeit herausgefunden hatten, bot sie ihnen eine schier unerschöpfliche Gesprächsquelle. Henning blühte jedes Mal richtig auf, wenn Wilhelms Sohn ihn wieder einmal ins Vertrauen zog und ihn an einem seiner gerade aktuellen Fälle teilhaben ließ. Im Gegenzug profitierte Peer bei ihren Gesprächen von Hennings Erfahrungsschatz.

3
    Schon seit
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