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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Autoren: Lena Klassen
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alles andere als erheiternd war, wenn sein Lächeln etwas Grimmiges und Trotziges hatte, ließ es ihr Herz in Flammen stehen. Mirita sah ihn etwas zu lange an, den Lichtprinzen mit dem goldenen Haar, in dem ein heller Schimmer bereits den nahenden Morgen verriet. Wenn sie ihm in die Augen blickte, musste sie immer an dunkle Wolken denken, und öfter, als gut für sie war, fragte sie sich, ob seine Haut sich wohl so glatt und samtig anfühlte, wie sie aussah. Kein einziges Barthaar verunstaltete seine Wangen und sein Kinn. Es lag in der Familie; selbst sein Vater, König Farank, wirkte durch sein bartloses Gesicht wie ein Mann von höchstens vierzig, fünfzig Jahren. Dabei war er so alt, dass niemand in Akink sich an den Beginn seiner Herrschaft erinnern konnte.
    Mattim richtete sich vorsichtig auf und spähte über die Steinmauer.
    »Vielleicht war es die falsche Nacht«, flüsterte er. »Vielleicht
kommen sie nicht, wann sie wollen. Vielleicht muss es eine ganz bestimmte Stunde sein.«
    »Lauter Vielleichts.« Mirita wollte etwas Treffendes erwidern, aber in diesem Moment ließ eine Bewegung im Gebüsch sie erstarren. Sie sog scharf die Luft ein.
    »Was …«
    Die beiden verstummten. Vor ihnen, im Dämmerschatten einer gewaltigen, jahrhundertealten Eiche, stand ein Wolf.
    Er war riesig. Seit sie das Ufer des Donua bewachten, hatten sie schon öfter Begegnungen mit Wölfen gehabt, aber dieser übertraf sie alle. Sein graues Fell glitzerte, als bestünde es aus unzähligen Silberfäden. Die dunklen Augen, die Mattim anstarrten, ohne das Mädchen an seiner Seite überhaupt zu beachten, boten einen Einblick in das, was diese Kreatur war: keine dumpfe, wilde Bestie, sondern ein Wesen mit messerscharfem Verstand, wach wie der Tag und gefährlich wie die Nacht.
    »Du nach rechts«, flüsterte der Prinz, ohne den Blick von ihrem Gegner zu lassen, »ich nach links. Auf mein Zeichen läufst du los.«
    Der Wolf rührte sich nicht von der Stelle. Ein tiefes, grollendes Knurren kam aus seiner Kehle. Er öffnete die Schnauze, zog die Lefzen hoch und entblößte seine Fänge - todbringende, elfenbeinfarbene Waffen.
    »Jetzt!«
    Mirita sprang auf und stürzte los. Der Köcher schlug ihr bei jedem Schritt gegen den Rücken. Um anzuhalten und den Bogen zu spannen, brauchte sie genügend Abstand zu ihrem Verfolger - wenn er sie denn verfolgte. Nachdem sie vielleicht zweihundert Meter gerannt war, blickte sie über die Schulter zurück.
    Keine Spur von dem Wolf. Und auch Mattim war nirgends zu sehen. Mirita stöhnte auf. Was hatte der Lichtprinz nun schon wieder gemacht? Irgendwie war es ihm gelungen, den Wolf auf seine Spur zu locken, damit sie unbehelligt
entkam. Sie blieb stehen und horchte. Hatte dieser Narr von einem Königssohn etwa nicht den Weg zum Fluss genommen, sondern tiefer in den Wald hinein? Das sah ihm ähnlich.
    »Du Idiot«, flüsterte sie. Dreißig Flusshüter wachten in diesem Wald nicht nur über den Fluss, sondern mindestens ebenso angestrengt über den Prinzen, und er begab sich in Gefahr, um ein einziges Mädchen zu schützen? König Farank würde sie dafür aus der Wache werfen. Und sie würde sich den Rest ihres Lebens fragen, ob Mattims samtene Gesichtshaut nach Honig duftete … oder nach Wald und Kampf.
    Der Pfeil, den sie wählte, war über und über mit den Runen des Lichts beschriftet. Stunden hatte sie damit zugebracht, ihn zu verzieren, alle ihre Wünsche und Hoffnungen hatte sie auf das glatte Holz geschrieben. Ein entschlossenes Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie den Pfeil an die Sehne legte und mit raschen Schritten zurückging.
    »Mattim?«, rief sie halblaut. »Prinz Mattim?«
    Als sie den Wolf aus dem Schatten treten sah, setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Seine Schnauze war dunkel von Blut, es tropfte auf das weiche Moos, über das er lautlos herangeschlichen war. Ein Schluchzen stieg in ihr auf, und zum ersten Mal seit ihrer Ausbildung zitterte ihre Hand so sehr, dass der Pfeil danebenflog. Er sirrte leise, als er in der Rinde einer schlanken Esche steckenblieb.
    Der Wolf machte einen Schritt nach vorne und fixierte sie mit glühenden gelben Augen. Immer noch tropfte Blut von seiner Schnauze. Er schien zu lächeln.
    In den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr, und zwei weitere Wölfe tauchten aus dem Dunkel auf. Sie waren grau wie der Schatten, grau wie die Dämmerung, grau wie all das Unglück, das Tag für Tag an die Tür der Bewohner von Akink klopfte.

    Drei Wölfe. Mit einem
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