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Magier unter Verdacht

Magier unter Verdacht

Titel: Magier unter Verdacht
Autoren: Boris Pfeiffer
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Holzbeinen vor ihm über den Bürgersteig wie eine Ente auf einem zugefrorenen See, knallte gegen einen Baum und blieb dort nach zweimaligem, wildem Schwanken stehen.
    Erschrocken klammerte sich Goffi an Ağan und fauchte.
    „Alles gut, Goffi!“, raunte Ağan ihm zu. „Das ist nur das übliche Sesseltempo! Man denkt immer, so schwere Dinge könnten sich nicht schnell bewegen, aber wie du siehst, können sie das sehr wohl!“
    „Quatsch mit Soße!“, fuhr Jenny Ağan an. „Der Sessel ist nicht gelaufen, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock!“
    „Ach ja?“ Ağan zeigte auf den wütenden Mann, der den Sessel jetzt eingeholt hatte und so aussah, als wolle er gerade zutreten. Dann hielt der Mann plötzlich inne und sagte: „Na, besser ist es, du bist aus dem Weg, du Eumel!“ Er drehte sich schnaufend um und verschwand wieder in der Einfahrt. Unmittelbar darauf wurde ein Motor angelassen und ein Motorrad mit einem Beiwagenbrummte auf die Straße. Darauf saß der Mann mit dem zwirbeligen Schnauzbart.
    „Seht ihr, was habe ich euch gesagt?“, meinte Ağan gelassen. „Der Sessel ist in den Hof gegangen und hat sich dadrinnen umgesehen. Dann war er dem Mann im Weg und ist vor ihm weggelaufen, als der anfing rumzubrüllen.“
    Addi brach in lautes Gelächter aus und hielt sich dabei die Hände vor den Bauch. „Du bist echt zu gut, Ağan! Du bist so gut, dass du einen mit deiner Fantasie echt verrückt machen kannst.“
    „Wieso Fantasie? Ich sage euch nur, was hier eben passiert ist!“ Ağan kraulte Goffi am Kopf.
    „So ein Unsinn“, erklärte Jenny. „Der Typ hat das Ding da rausgeschossen.“
    „Das denke ich auch. Aber er ist echt ein tolles Ding!“ Addi musterte den Sessel. Er war riesengroß und rot und wirklich ein ungewöhnliches Möbelstück. Die Lehne glich einer Muschelschale, nach vorne ragten zwei mächtige hölzerne Armlehnen und dazwischen erstreckte sich eine gewaltige Sitzfläche. „Mann, ist das ein Oschi! So einen Sessel habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.“
    „Ich auch nicht“, gab Jenny zu. „Selbst wenn ich sicher bin, dass der Motorradfahrer ihn mit einem Tritt gegen den Baum befördert hat!“
    „Das ist unmöglich!“ Ağan ging auf den Sessel zu. „Der ist sehr schwer. Und er wandert tagein, tagaus hier durch die Straße. Wenn ich bloß wüsste, was er sucht!“ Mit großen Augen musterte er das Möbelstück.
    „Ağan!“ Jenny stemmte die Hände in die Hüften. „Könntest du jetzt bitte mit dem Der-spukende-Sessel-Kram aufhören. Ich dachte, wir sind zum Essen eingeladen.“
    „Ja, klar.“ Ağan warf dem Sessel noch einen Blick zu, dann drehte er sich um und trat wieder an die hohe, alte Holztür. Diesmal stieß er sie auf und führte Jenny und Addi durch einen düsteren Gang bis zu einer weiteren Tür. Goffi stieß es leises Fauchen aus.
    „Keine Angst, Goffi, wir sind gleich da!“, flüsterte Ağan ihm zu.
    Die zweite Tür hatte hohe Milchglasscheiben, und als Ağan sie aufzog, sprang Goffi sogleich von seiner Schulter und verschwand mit einem lauten Schnattern im dahinter liegenden Hof.
    „Was ist denn da?“ Addi eilte seinem Affen nach. „Oh!“, stieß er dann hervor und blieb abrupt stehen.
    Schnell lief Jenny neben ihn und hielt ebenso verblüfft inne.
    Vor ihnen öffnete sich ein begrünter Hof, umgeben von wunderschönen alten Mietshäusern. Auf den Fassaden thronten weiße Engel, und seltsame steinerne Gestalten streckten sich über den Fenstern aus. Die Treppen zu den Hintereingängen wurden von Löwen bewacht. Auf einem der Löwenköpfe hatte sich Goffiniedergelassen. Als er die Kinder sah, sprang er auf den nächstgelegenen Ast eines Baumes, schaukelte wild darauf herum und jagte übermütig weiter.
    Addi und Jenny kamen aus dem Staunen nicht heraus. In den Bäumen hatte jemand rote Herzen aufgehängt, die zwischen den Blättern tanzten. Im Fenster einer Erdgeschosswohnung standen vier Rosen, zwei rote und zwei weiße, deren Stiele aus Stacheldraht und deren Köpfe aus Papier gemacht waren. An einem Stück kahler Hauswand prangten Kreidezeichnungen von Kinderhänden.
    „Wow!“, stieß Addi aus. „Wo sind wir denn hier gelandet?“
    „Na, in unserem Hinterhof“, sagte Ağan nicht ohne Stolz. „Dahinten malt mein kleiner Bruder immer die Wand voll.“
    Jenny hob schnuppernd die Nase. „Was riecht denn hier so gut?“
    „Meine Eltern haben wohl schon mit dem Kochen angefangen!“ Ağan deutete auf ein geöffnetes Fenster im
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