Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magie der Worte

Magie der Worte

Titel: Magie der Worte
Autoren: Verena Basilissa
Vom Netzwerk:
erbracht, so musste der gerufene Geist sorgsam zurückgebannt werden. Das geschah, indem man das Ritual in umgekehrter Richtung wiederholte und dabei auch den Name des Geistes rückwärts aussprach.
    Dem Namen von Geistern, Gottheit oder Dämonen kommt also große Bedeutung zu. Der Grund liegt auf der Hand: Viele Vorstellungen von der Funktionsweise der Magie basieren auf der Annahme, dass man all jenes beherrschen und/oder verzaubern könne, dessen „wahren“ Namen man kenne. In vielen Völkern wird deshalb der Name eines Menschen geheim gehalten, und in manchen Religionen (wie dem Islam) oder Geheimwissenschaften (wie der Kabbala) spielen die Namen Gottes eine große Rolle.
    Sprache als magisches Instrument
    Die Macht liegt dabei also im Wort selbst. Ihm wurde schon immer eine besondere, manchmal sogar göttliche Wirkung zugesprochen. Denken Sie nur an den Beginn des Johannesevangeliums. Dort heißt es „Am Anfang war das Wort...“ Viele Philosophen sprachen Wörtern magische oder sogar göttliche Kräfte zu. Nur zwei Beispiele: Der Neuplatoniker Jamblichos (um 300 unserer Zeitrechnung) vertrat die Meinung, dass Worte umso stärker wirkten, je fremdartiger sie lauteten. Und der Theologe und Philosoph Pierre Poiret (1646-1719) vermutete, dass der Mensch ursprünglich alle Kreaturen durch seine Stimme beherrschen konnte. „...Denn der Mensch hat die Sprache nicht empfangen, um seines Gleichen seine Gedanken mitzuteilen, sondern um sich die Natur dadurch untertänig zu machen.“ Sprache galt also in erster Linie als magisches Instrument!
    Zaubersprüche sind schon aus dem Altertum belegt, etwa aus der Zeit ägyptischer Alchemisten. Allerdings sind solche Formeln kaum in Wortlaut und Wirkung bekannt. Anders ist es bei den Zauberworten und -sprüchen der Germanen, die diese in Runen (siehe auch Kapitel 8) einritzten. Man leitet deshalb das Wort Zauber vom althochdeutschen zoubar ab, einer Bezeichnung der roten Farbe, mit der die eingeritzten Runen bestrichen wurden. Und das englische Wort für Zauberspruch, spell , kommt vom angelsächsischen speld (= Span oder Splitter), das auch das Runentäfelchen bezeichnete.
    Ein Fund aus uralter Zeit: die Merseburger Zaubersprüche
    Es ist gut 170 Jahre her, da machte der Historiker Dr. Georg Waitz (1813-1886) in der Bibliothek des Merseburger Domkapitels einen sagenhaften Fund: In einer theologischen Sammelschrift des 9./10. Jahrhunderts entdeckte er zwei uralte germanische Zauberformeln. Er ahnte wohl die Bedeutung seiner Entdeckung, konnte aber noch nicht wissen, dass er auf jene Schriftstücke gestoßen war, die bis heute weltweit die einzigen schriftlichen Zeugen heidnischen Inhalts in althochdeutscher Sprache sind.
    Zur Begutachtung legte Waitz das Dokument einem der Mitbegründer der Germanistik vor: Jakob Grimm, den wir heute meist nur noch als einen der bekannten deutschen Märchendichter-Brüder kennen. Dieser bewertete und würdigte das Dokument mit den Zaubersprüchen im Jahre 1842 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin mit den Worten: „...ist die reichhaltige Bibliothek des Domkapitels zu Merseburg von Gelehrten oft besucht und genutzt worden. Alle sind an einem Codex vorbeigegangen, der ihnen ... nur bekannte kirchliche Stücke zu gewähren schien, jetzt aber, nach seinem ganzen Inhalt gewürdigt, ein Kleinod bilden wird, welchem die berühmtesten Bibliotheken nichts an die Seite zu setzen haben...“
    Damit wurden die Zauberformeln, die „Gedichte aus der Zeit des deutschen Heidentums“, schlagartig unter den Wissenschaftlern in aller Welt bekannt – als „Merseburger Zaubersprüche“.
    Was in den germanischen Zauberformeln steht
    Im ersten der beiden Merseburger Sprüche wird die Befreiung von Gefangenen beschworen, im zweiten die Heilung eines Pferdes durch germanische Götter. Der Wortlaut ist für uns heute natürlich nicht mehr zu verstehen – selbst in der Übersetzung in unser gebräuchliches Hochdeutsch nicht:
    Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder.
Suma hapt heptidum, suma heri lezidun,
suma clûbôdun umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandum, inuar uîgandun !
    Die Übersetzung lautet:
    Einst setzten sich Idisen, setzten sich hierher...
Manche hefteten Haft, manche hemmten das Heer.
Einige zerrten an den Fesseln.
Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!
    Damit können Sie nichts anfangen? Kein Wunder – sowohl Sprache wie Ausdruck sind uns fremd. Schließlich ist die Formel mehr als 2.500 Jahre alt. Dennoch war es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher