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Magazine of Fantasy and Science Fiction 05 - Die Esper greifen ein

Magazine of Fantasy and Science Fiction 05 - Die Esper greifen ein

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 05 - Die Esper greifen ein
Autoren: V.A.
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rostige Zug mit lautem Geratter in eine schneeüberdeckte Station ein. Unter dem grausam kalten Weiß strömten die schmutzigen Menschen durch die alten Wagen und Gänge. Sie drängten den alten Mann vor sich her bis in ein leeres Abteil, das früher einmal eine Toilette gewesen war. Bald war der Fußboden mit Matten bedeckt, auf denen sich sechzehn Leute drängten und stießen und einzuschlafen versuchten.
    Der Zug raste weiter in die weiße Leere.
    Der alte Mann dachte: »Ruhig, sei ruhig, nein, sprich nichts, halt den Mund, denk lieber! Vorsicht! Fang nicht wieder an!« Er schaukelte und ruckte hin und her, halb gegen eine Wand gedrückt. Außer ihm saß nur noch eine einzige Person aufrecht – in dieser Schreckenskammer zermürbenden Schlafs. Ein wenig von ihm entfernt, gegen die Wand gepreßt, saß ein etwa achtjähriger Junge mit krankhaft blassen Wangen. Er schien hellwach und blickte mit großen, starren Augen auf den Mund des alten Mannes. Der Junge sah ihn an, weil er ihn ansehen mußte. Der Zug zischte, brüllte, schwankte, heulte und polterte.
    Eine halbe Stunde verging in der donnernden, mahlenden Fahrt durch die fahlweiße Schneenacht, und der Mund des Alten blieb fest geschlossen. Eine ganze Stunde, und noch immer kam kein Laut von seinen Lippen! Nach einer weiteren Stunde begannen die Muskeln um die Kiefer zu erschlaffen. Noch eine, und die Lippen öffneten sich, um sich zu befeuchten. Der Junge blieb wach. Der Junge sah. Der Junge wartete. Bedrückendes Schweigen schien von draußen hereinzusickern. Die Reisenden schliefen, von innerem Schrecken erfüllt – aber der Junge wandte seinen starren Blick nicht von dem alten Mann, der sich schließlich langsam vorbeugte.
    »Scht, mein Junge. Wie heißt du?«
    »Joseph.«
    Der Zug ächzte und seufzte, gleich einem Ungeheuer, das sich durch eine zeitlose Dunkelheit wälzte – auf ein Morgen zu, das unvorstellbar war.
    »Joseph ...« Der alte Mann ließ das Wort auf der Zunge zerfließen und lehnte sich mit sanften, strahlenden Augen noch weiter nach vorn. Seine Augen weiteten sich, bis sie blind zu sein schienen. Er starrte auf einen entfernten und versteckten Gegenstand. Mit äußerster Behutsamkeit räusperte er sich.
    »Ah ...«
    Der Zug legte sich aufheulend in eine Kurve. Die Menschen schaukelten im Schlaf.
    »Nun, Joseph«, flüsterte der alte Mann und hob untermalend die Hand. »Es war einmal ...«
     

Lockende See
     
J. G. Ballard
     
     
    Wieder hörte Mason in der Nacht die Geräusche der näherkommenden See, das unterdrückte Donnern der langen Brecher, die die nahegelegenen Straßen überspülten. Schlaftrunken lief er hinaus in die Mondnacht. Die weiß eingefaßten Häuser standen wie Grabstätten zwischen den blankgespülten betonierten Höfen. Zweihundert Meter weiter entfernt platschten und wirbelten die Wellen über das Straßenpflaster. Es schäumte und spritzte, und die Luft war mit einem würzigen Salzgeruch erfüllt.
    Weiter hinten griffen die höheren Wellen über die Dächer der Häuser hinweg, nur hier und da kam noch ein Schornstein zum Vorschein. Mason sprang einen Satz zurück, als der kalte Schaum seine bloßen Füße berührte. Voller Unbehagen warf er einen Blick auf das Haus, in dem seine Frau ruhig schlief, und schätzte ab, wie lange das Meer brauchen würde, um bis hierher vorzudringen. Jede Nacht kam es ein Stückchen näher, schwarz und unheimlich mit hellen Schaumflocken.
    Eine halbe Stunde lang beobachtete Mason die Wellen an den Schornsteinen der fast ganz bedeckten Häuser. Über ihm jagten dunkle Wolken am Himmel dahin.
    Endlich zogen sich die Wellen wieder zurück, die brausenden Wassermengen rauschten durch die Straßen, gaben die Häuser und Zäune wieder frei, die jetzt im Mondlicht glitzerten. Mason rannte vorwärts, über die Schaumflocken, aber die See wich vor ihm zurück in das fahle Licht, verschwand hinter der nächsten Ecke, glitt an den Garagentüren entlang. Mason lief auf das Ende der Straße zu, während das letzte verblassende Glühen hinter der Kirchturmspitze am Himmel verschwand. Erschöpft kehrte er ins Bett zurück – das Rauschen der Wellen erfüllte ihn noch, während er einschlief.
     
    »Gestern nacht habe ich wieder die See gesehen«, sagte er beim Frühstück zu seiner Frau.
    »Aber Richard, bis zur nächsten Küste sind es doch über tausend Meilen«, antwortete Miriam ruhig. Schweigend beobachtete sie ihren Mann, längere Zeit hindurch. Ihre schlanken, durchsichtigen Finger strichen
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