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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler
Autoren: Antonia Michaelis
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was anderes nach als darüber, wie ich den nächsten Kerl ins Bett kriege.«
    »Den nächsten?«, fragte Gitta und grinste. »Wer war der erste? Hab ich was verpasst?«
    »Mit dir kann man nicht reden«, knurrte Anna und stand auf. Doch Gitta zog sie wieder hinunter auf den modernen, eckigenLedersessel, einen Sessel, den man hervorragend steril abwaschen konnte – und das, dachte Anna böse, war bei Gittas momentanem Lebenswandel sicherlich von Nutzen.
    »Hey, Anna«, sagte Gitta. »Nun reg dich nicht gleich so auf. War nicht böse gemeint, okay? Ich will nur nicht, dass du dich unglücklich machst. Ich mag dich, weißt du? Könntest du dich nicht in jemand anderen verlieben?«
    »Ich bin in überhaupt niemanden verliebt«, sagte Anna. »Du kannst also gleich wieder damit aufhören, es mir einreden zu wollen.«
    Sie sah durch die Glasscheibe hinaus auf das Neubaugebiet. Wenn sie ihre Augen ganz fest zukniff, konnte sie die Häuser vielleicht unsichtbar werden lassen und das Wasser dahinter erkennen. Es war eine Frage des Willens. Und wenn sie sich sehr, sehr anstrengte, konnte sie vielleicht etwas über Abel Tannatek herausfinden. Ohne Gitta. Warum hatte sie den Mund nicht halten können? Warum hatte sie Gitta erzählen müssen, dass sie mit Abel gesprochen hatte? Weil es drei Tage her war, seit sie mit Abel gesprochen hatte, dachte sie, deshalb. Weil er seitdem nicht wieder mit ihr gesprochen hatte. Kein Wort. Weil es war, als hätte er überhaupt nie mit ihr gesprochen. Die Seifenblase hatte sich wieder um Anna geschlossen und die kalte Hülle aus Schweigen hatte sich um Abel geschlossen. In der Seifenblase jedoch war etwas zurückgeblieben. Ein glimmender Funke. Neugier.
    »Jetzt hör mal zu, mein Kind«, sagte Gitta und zündete eine neue Zigarette an. Bestand ihr Leben völlig aus Zigaretten? Sie machte Anna ganz wahnsinnig mit dem Angezünde und Ausgedrücke und Herumgekrame. »Hör mal gut zu. Ich weiß schon, du bist ein Ende schlauer als ich, ein gutes Ende, bessere Noten und alles, und dieMusik … du denkst über Dinge nach, über die Leute wie ich nicht nachdenken. Das weiß ich alles. Aber in dieser einen, einzigen Sache solltest du wirklich auf mich hören. Vergiss Tannatek. Denk mal an die Puppe. Warum rennt er mit einer Kinderpuppe herum? Kleine Schwester? Na, ich weiß nicht. Kann schon sein, er hat eine kleine Schwester, aber ich hätte die Puppe mal gründlich untersucht. Was hat er gesagt? Du sollst sie vorsichtig anfassen? Siehst du keine Krimis? Liest du nicht wenigstens welche? Du liest doch Bücher! Ich meine, ich weiß nicht, woher er seinen Stoff bezieht, aber er hat mal so eine Bemerkung fallen lassen, und ich denke, er hat gute Kontakte nach Polen rüber. In irgendwas muss man doch das Zeug auch transportieren?«
    »Du meinst, in der Puppe …«
    Gitta zuckte die Schultern. »Ich meine gar nichts. Ich denke nur laut. Meine Güte, wir sind ja alle froh, dass es ihn gibt, unseren polnischen Kurzwarenhändler. Er ist immer noch der Billigste, und es ist so einfach … guck mich nicht so an, ich bin kein Junkie. Nicht jeder, der mal ein Bier trinkt, ist Alkoholiker, oder? Jedenfalls würde ich nicht alles glauben, was unser Kurzwarenhändler so von sich gibt. Der rettet auch nur seine Haut. Tun wir doch alle, so oder so.«
    »Wie meinst du das?«
    Gitta lachte. »Keine Ahnung. Klang direkt philosophisch, was? Also, die Sache mit der Puppe und der Schwester … sehr anrührend, wirklich. Und das weiße Rauschen … vielleicht spinnt er ein bisschen, der Pole. Vielleicht hat er dich aber auch auf den Arm genommen. Sich was ausgedacht, um dich zu beeindrucken. Du bist gut in der Schule. Er ist mit dir in Deutsch. Du könntest ihm helfen. Aus irgendeinem Grund scheint er es sich in den Kopf gesetzt zu haben, das Abi zu machen. Vielleicht macht er sich interessant.«
    »Natürlich«, sagte Anna. »Er macht sich interessant. Indem er nicht mit mir redet. Glückwunsch zu deiner Logik, Gitta.«
    »Aber es ergibt Sinn!«, rief Gitta. »Er lässt dich eine Weile in deiner Verlie… in deiner Neugier verschmoren, und dann …«
    »Hör auf, mit der Zigarette herumzufuchteln«, sagte Anna nüchtern und stand auf, diesmal endgültig; diesmal, um zu gehen. »Du wirst noch die Wohnzimmergarnitur deiner Eltern anzünden.«
    »Liebend gern«, sagte Gitta. »Sie brennt leider schlecht.«
    Sie musste es versuchen. Sie würde es versuchen. Wenn Abel nur mit den Leuten sprach, denen er da draußen auf dem
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