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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar
Autoren: Sarah Kuttner
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aufzuhören, wenn es Ihnen nicht zu einhundert Prozent gut geht!«
    »Aber es ging mir gut! Sehr gut! Ich hatte wieder Arbeit und war zufrieden und verknallt! Wie viel besser kann es einem noch gehen?«
    »Aber Sie haben Zweifel an Ihrer neuen Beziehung!«
    »Nein, ich habe Zweifel an
mir
, diese neue Beziehung betreffend! Ich traue mir nicht mehr. Außerdem hat das doch mit der aktuellen Lage überhaupt nichts zu tun!«, stänkere ich.
    »Wie kommen Sie denn darauf?«, stänkert der Arzt zurück.
    »Jetzt klingen Sie schon wie meine Therapeutin!«, scherze ich.
    »Wie klingt denn Ihre Therapeutin?«, scherzt er nicht zurück.
    »Sie sagt, dass ich jetzt wieder in Beziehung stehe. Dass es mir deshalb so geht.«
    »Na, dann ist Ihre Therapeutin gar nicht so schlecht!«
    Menno.
     
    Ich bin wirklich fasziniert vom Popstarpsychiater. Er ist abgebrüht. Er scheint ein Fan von sich zu sein. Ich bin es auch. Er ist ungewohnt hart und sehr direkt. Er packt feste an, behandelt mich grob, lässt sich nicht einlullen von mir. Ich sage ihm das. Dass ich ihn interessant, aber auch anstrengend finde.
    »Glauben Sie mir, ich finde es auch anstrengend mit Ihnen. Ich bin nicht zu jedem Patienten so. Es ist enorm schwer, an Sie heranzukommen.« Findet er. »Ich habe das Gefühl, Sie mit einem Schlagbohrer bearbeiten zu müssen, damit Sie sich öffnen. Sie sind eine Wand aus Beton. Dauernd lenken Sie ab, machen Witze, versprühen Charme.«
    »Wie lautet Ihre Diagnose?« Ich möchte Klartext.
    »Ich bin noch nicht sicher, dazu haben wir nicht genug gesprochen, aber ich denke, Sie haben eine ordentliche Depression. Und ich könnte mir vorstellen, dass Sie die vielleicht schon sehr lange haben, dass sie über die Jahre vielleicht sogar chronisch geworden ist. Ihre Depression versteckt sich nämlich sehr gut. Sie haben einen fantastischen Schutzschild aufgebaut.«
    Ich bin überrascht. Das wollte ich nicht hören. Ich habe keine Depression! Ich hatte vielleicht ob der Umstände eine depressive Verstimmung, aber ich bin doch nicht depressiv!
    »Das glaube ich nicht«, sage ich deshalb mutig. »Ich bin überhaupt nicht traurig, ich grüble nicht viel, ich habe keine Schlafprobleme, und ich habe keinen gestörten Antrieb!«, leiere ich die typischen Symptome für eine Depression herunter.
    »Frau Herrmann, in der halben Stunde, die Sie jetzt hier sitzen, haben Sie dreimal angefangen, zu weinen, und ich habe in dieser Zeit dreimal das Wort Depression in meinen Notizen unterstrichen!« Als Beweis zeigt er mir die Notizen. Es stimmt. Ich habe geweint, und er hat unterstrichen.
    »Und in den Momenten, in denen Sie weinen, wirken Sie ungewöhnlich traurig. Sie verströmen eine Traurigkeit, die einem die Schuhe auszieht! Wenn Ihre Depression herauskommt, dann nur für kurze Zeit, und wenn man mal nicht hinsieht, ist sie auch schon wieder weg. Sie versteckt sich. Zum Beispiel hinter Ihrer Angst. Sie haben doch selbst gesagt, dass, wenn Ihre Beruhigungstabletten wirken und Sie nach einem Angstanfall ruhiger werden, eine unbestimmte Niedergeschlagenheit übrig bleibt!«
    Jetzt bin ich es. Niedergeschlagen. In der gesamten Wortwörtlichkeit des Begriffes. Meine Augen füllen sich wieder mit Wasser, aber ich zwinge mich, das Augenfass nicht zum Überlaufen zu bringen. Keine weiteren Beweise mehr für die Gegenpartei! Herr Richter, wir beantragen eine kurze Unterbrechung!
    Ich gehe auf die Toilette, um mich zu sammeln. Aber ich kriege mich nicht vernünftig gesammelt. Ich sitze auf dem Klo und wiege den Kopf im Takt des Chaos meiner Gedanken.
    Als ich an seinen Schreibtisch zurückkomme, versuche ich, mit einem Witz, mich mit dem Popstarpsychiater zu verbünden: »Meine Therapeutin sagt immer, dass ich mich nicht spüre. Was immer das heißen soll!« Ich hoffe, wir können ein wenig abfällig über diese esoterische Aussage grinsen, auch wenn dieser Witz leider auf die Kosten der fürsorglichen Anette geht.
    Da habe ich allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht: »Wie kommen Sie auf die Idee, dass das nicht stimmen könnte? Sie spüren sich so wenig, dass Sie noch nicht einmal merken, dass Sie eine Depression haben!«
    Kalt erwischt. Und ich bin auch ein bisschen sauer. Ein Witzchen in Ehren kann niemand verwehren, ist meine Philosophie. Aber nicht die des Arztes. Ich ziehe in Erwägung, dass er mich nicht leiden kann. Aber eigentlich weiß ich es besser: Er will mich aus der Reserve locken.
    »Frau Herrmann! Fällt Ihnen denn gar nichts auf? Sie
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