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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
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der Küche herbeigetragen. Gerade kamen wieder zwei Diener an ihr vorbei, die mit Trageriemen eine Kiste zwischen sich geschultert hatten, aus der es nach Fleisch und herrlicher Bratensauce roch. Sie wichen den übermütigen Tänzern geschickt aus und erreichten schließlich unbeschadet den Thron.
    Sofort wurde eine Köstlichkeit nach der anderen aufgetragen. Wer gerade nicht tanzte, beobachtete mit ausgehungerten Blicken, wie sich die Tafel mit Fleisch, Kartoffeln, Gemüseplatten und Mehlspeisen füllte. Doch unter den gestrengen Blicken des Huldigungskommissärs wagte niemand, sich vorzeitig zu bedienen.
    Plötzlich tippte ihr jemand auf die Schulter und Helena fuhr herum. »Lukas, du … Bist du wahnsinnig, mich so zu erschrecken?«
    Der Chirurg stand strahlend vor ihr. Nur ein paar leichte Schrammen im Gesicht zeugten von Friedemars Angriff; hinter ihm standen Borginino und Ernestine. »Helena, wir haben einen Plan. Wir werden mit dir zusammen das Stiftssilber aus der Schatzkammer in Kisten packen und die Fürstäbtissin wird dafür sorgen, dass eine Kutsche bereitsteht.«
    Helena runzelte die Stirn. »Und wie sollen wir unter diesen Umständen unbehelligt zum Altar, geschweige denn die Treppen hinauf zum hohen Chor und wieder zurück gelangen? «
    »Könnt ihr tanzen?«, fragte Lukas in die Runde.
    »Tanzen?«, echote Borginino entsetzt, und Helena und Ernestine nickten, wenn auch etwas verwundert.

    »So gelangen wir am unauffälligsten durch die Menge bis zu den Treppen und zum Altar. Zum Glück steht der mächtige Thron genau davor; besser hätte es der Herr Huldigungskommissär nicht einrichten können. Überhaupt – die Musik ist nicht zu verachten und Hunger habe ich auch.«
    »Lukas!«, mahnte Ernestine freundschaftlich. »Wir sind nicht zum Feiern gekommen.«
    »Aber ein Tänzchen in Ehren? Madame, darf ich bitten?« Lukas verbeugte sich galant vor Ernestine, die wie ein junges Mädchen kicherte und verschämt knickste.
    Helena schaute ihnen bewundernd hinterher: Lukas behielt trotz des Gewühls die Übersicht und vermied einige Zusammenstöße durch geschicktes Ausweichen. Seine Bewegungen blieben dabei ruhig und fließend, weshalb Ernestine sichtlich Spaß hatte. Wenn sie trotzdem angerempelt wurden und für einen kurzen Augenblick außer Takt kamen, lachte die Witwe nur noch mehr. Irgendwann waren sie in der Menge verschwunden, und Helena bemerkte den Diener an ihrer Seite.
    »Wollen wir?« Helena zupfte ihn am Ärmel.
    Borginino schaute drein, als sei er gerade aus einem Traum erwacht. »Gewiss doch.« Unbeholfen hob er die Arme in eine Höhe, wo er die Tanzhaltung vermutete.
    Helena lächelte verständig. »Ich führe.«
    Zunächst gerieten sie in leichte Uneinigkeit, mit welchem Fuß denn begonnen werden müsse und an Takt war nicht zu denken, aber Hauptsache, sie tanzten. Allerdings hatte Helena das Gefühl, dass sie sich mehr oder minder auf der Stelle drehten und sich nur die Leute um sie herum bewegten.
    »Wie kann man das nur lernen«, flüsterte Borginino ihr ins Ohr und vergaß darüber völlig das Tanzen.

    »Hör einfach auf den Takt und lass dich von mir führen. Eins, zwei, drei …«
    Borginino nickte und sah auf seine Füße hinunter, als gehörten sie nicht ihm.
    »Schau mich an! Du musst eine Frau beim Tanzen ansehen und dich entschuldigen, wenn du ihr auf die Füße trittst. Aber sieh um Himmels willen nicht zu Boden!«
    »Glaubst du, sie würde mich auch mögen, wenn ich es nicht lerne?«
    »Wer?«
    Prompt senkte Borginino wieder den Kopf und biss sich verschämt auf die Lippe. »Ernestine.«
    Nach kurzem Erstaunen lächelte Helena. »Da musst du sie schon selbst fragen.«
    »Es hat ja auch noch Zeit. Wenn wir erst einmal gemeinsam unterwegs sind, kann sie mich noch besser kennenlernen. Und vielleicht kannst du mir nebenher noch ein wenig das Tanzen beibringen?«
    »Das mache ich gerne. Allerdings müssen wir uns jetzt zuallererst um das Kirchensilber kümmern. Ernestine und Lukas sind bestimmt schon längst bei den Altartreppen, und wir drehen uns hier vorne immer noch im Kreis.«
    Plötzlich nahm Borginino sie bei der Hand und zog sie etwas abseits des Gedränges. Schnurstracks steuerte er auf zwei Essensträger zu. Sie stammten aus den Reihen des Huldigungskommissärs und waren unverkennbar Großvater und Enkel: Beide hatten abstehende Ohren und den gleichen minderbemittelten Blick. Der Alte atmete schwer, hustete und ließ sich von seinem Enkel auf den buckligen Rücken
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