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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
Autoren: Muriel Spark
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ich nicht. Ich habe niemals gehört, daß sie irgend etwas Krankhaftes geäußert hätte. Das muß der Einfluß Londons gewesen sein. Ich selbst komme nie her, wenn ich nicht muß. Ich hatte einmal in meinen jungen Tagen eine Stelle als Hilfsgeistlicher in Balham. Aber seither habe ich immer Landpfarren gehabt. Ich ziehe Landpfarren vor. Man findet bessere, frömmere und tatsächlich in manchen Fällen sogar reine Seelen in den Landgemeinden.»
    Nicholas mußte an einen amerikanischen Bekannten denken, einen Psychoanalytiker, der ihm einmal geschrieben hatte, er beabsichtige nach dem Kriege in England zu praktizieren, ‹weit weg von all diesen Neurotikern und diesem ganzen Angstbetrieb›.
    «Heute findet sich Christentum nur noch in den Landpfarren», meinte dieser Hirte von Hammeln erster Güte.
    Er setzte sein Glas ab, so als wolle er damit sein Urteil über diese Sache besiegeln. Mit jedem Satz fiel sein Schmerz über den Verlust von Joanna mehr und mehr zusammen mit ihrem Fortgang aus dem Pfarrhaus.
    «Ich muß mir den Ort ansehen, wo sie gestorben ist», sagte er.
    Nicholas hatte ihm bereits versprochen, ihn zu dem zerstörten Haus in der Kensington Road zu führen. Der Vater erinnerte Nicholas mehrmals daran, so als fürchte er, London unversehens zu verlassen, ohne diese Pflicht erfüllt zu haben.
    «Ich gehe mit Ihnen hin.»
    «Wenn es auf Ihrem Wege liegt, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Was halten Sie denn von dieser neuen Bombe? Glauben Sie, daß alles nur Propaganda ist?»
    «Ich weiß es nicht, Sir», meinte Nicholas.
    «Es raubt einem den Atem vor Entsetzen. Wenn es wahr ist, müssen sie einen Waffenstillstand schließen.» Während sie auf Kensington zugingen, sah er sich um. «Diese Bombentrichter haben etwas Tragisches. Wissen Sie, ich komme niemals hierher, wenn ich nicht muß.»
    «Haben Sie schon eins der Mädchen gesehen, die mit Joanna zusammen in dem Haus eingeschlossen waren oder andere Mitglieder des Clubs?»
    «Ja, doch, ein paar», sagte der Pfarrer. «Lady Julia war so liebenswürdig, gestern nachmittag einige gemeinsam mit mir zum Tee einzuladen. Die armen Mädchen haben eine schwere Prüfung hinter sich, selbst die, die nur zugeschaut haben. Lady Julia schlug vor, daß wir den Vorfall gar nicht erörtern sollten. Ich glaube, wissen Sie, das war sehr weise.»
    «Ja. Erinnern Sie sich ungefähr an die Namen der Mädchen?»
    «Lady Julias Nichte war da, Dorothy, und eine Miss Baberton, die, glaube ich, durch ein Fenster entkommen ist. Auch noch einige andere.»
    «Eine Miss Redwood, Selina Redwood?»
    «Ja, wissen Sie, ich behalte Namen so schlecht.»
    «Ein sehr großes, sehr schlankes Mädchen, sehr schön. Ich möchte sie wiedertreffen. Dunkles Haar.»
    «Sie waren alle reizend, mein junger Freund. Alle jungen Menschen sind reizend. Joanna war für mich die allerreizendste, aber da bin ich wohl parteiisch.»
    «Sie war reizend», sagte Nicholas und schwieg.
    Aber der Mann war der Fährte mit der Leichtigkeit des erfahrenen Geistlichen gefolgt, der sich auf vertrautem Boden weiß. Er fragte besorgt: «Ist das junge Mädchen verschwunden?»
    «Nun, jedenfalls ist es mir nicht gelungen, sie aufzuspüren, ich habe es in den letzten neun Tagen immer wieder versucht.»
    «Wie merkwürdig. Sie wird doch nicht ihr Gedächtnis verloren haben … durch die Straßen irren …?»
    «Ich denke, in diesem Falle würde man sie gefun den haben. Sie ist sehr auffallend.»
    «Was sagt denn ihre Familie dazu?»
    «Ihre Familie ist in Kanada.»
    «Vielleicht ist sie fortgegangen, um zu vergessen? Man könnte es verstehen. Gehörte sie zu den Mädchen, die im Haus eingeschlossen waren?»
    «Ja, sie entkam durch ein Fenster.»
    «Nach Ihrer Beschreibung glaube ich nicht, daß sie bei Lady Julia war. Sie könnten doch anrufen und fragen.»
    «Ich habe ja schon angerufen. Sie hat nichts von Selina gehört, auch die übrigen Mädchen nicht. Aber ich hoffte, sie könnten sich geirrt haben. Sie wissen, wie das ist.»
    «Selina …» sagte der Pfarrer.
    «Ja, so heißt sie.»
    «Einen Augenblick. Der Name Selina ist gefallen. Eins der Mädchen, ein blondes, sehr junges Mädchen, beklagte sich darüber, daß Selina mit ihrem einzigen Ballkleid auf und davon gegangen sei. Könnte das dieses Mädchen sein?»
    «Ja, das ist sie.»
    «Nicht sehr nett von ihr, einem anderen Mädchen das Kleid wegzunehmen, besonders wo sie doch alle ihre ganze Garderobe im Feuer verloren haben.»
    «Es war ein Schiaparelli-Modell.»
    Der
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