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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Frühling und Lebensfreude. »Ich werde sie aus dem Gefängnis herausholen«, sagte er mit plötzlich harter Stimme. »Und wenn es auf Bewährung ist!« Er griff in die Tasche und holte ein Blatt Papier hervor. Hans Busse kannte dieses Formular bereits, er hatte es schon zweimal unterschrieben.
    »Und wenn ich die Vollmacht unterschreibe … was tun Sie dann, Herr Doktor?«
    »Dann fahre ich in den nächsten Tagen zur Jugendstrafanstalt Wildmoor und spreche mit dem Direktor.«
    »Und … und Sie werden Monika sehen?« fragte Erika Busse leise.
    »Vielleicht.«
    »Dann bestellen Sie ihr bitte schöne Grüße.« Hans Busse würgte an den Worten und ärgerte sich, daß seine Augen wäßrig wurden. »Und sagen Sie ihr … sie soll sich gut halten … sie soll alles tun, was man von ihr verlangt … sie soll brav sein … nicht wahr … Und sagen Sie ihr, daß ich ihr nicht böse bin … ja?«
    Mit zitternden Fingern unterschrieb Hans Busse die Vollmacht und trank dann schnell sein Bier, um mit ihm das heraufdrängende Weinen zu ertränken.
    ›Pfeifen-Willy‹ war das, was man einen Tangojüngling nennt oder einen Sonny-Boy. Er trug die schwarzen Haare im Bürstenschnitt, bevorzugte engste Hosen, Rollkragenpullover, Wildlederjacken, spitze, italienische Schuhe und trug eine goldene Madonna an einem dünnen Goldkettchen auf der mäßig behaarten Brust. Außerdem tanzte er jeden modernen Tanz, beherrschte das Teenager-Alphabet von steiler Zahn bis wüste Schaffe vollkommen, hatte eine Bude unter dem Dach, deren wichtigstes Requisit ein quietschfreies Bett war, nannte bei Nachfragen als Beruf ›freischaffender Künstler‹ und ließ sich im übrigen von zwei Mädchen aushalten, von denen eine das Pech hatte, gegenwärtig in Wildmoor zu sitzen.
    Für ›Pfeifen-Willi‹ – sein Kosename rührte von der Shagpfeife her, die er selbst beim Liebesakte zwischen den Lippen behielt – war dies ein großer finanzieller Schlag. Hilde Marchinski fehlte ihm überall. Beim Ausbaldowern von lohnenden Objekten, beim Abkassieren am Morgen, als Lockvogel für verliebte alte Hähne und natürlich auch im Bett. Vor allem da vermißte er sie schmerzlich, denn Mädchen Nr. 2, das für ihn auf der Straße patrouillierte, war dick und ordinär und kam nur für die unteren Sozialklassen in Frage. Hilde aber war das, was man Klasse nennt. Sie hatte wirkliche Kavaliere, fuhr mit ihnen im Luxuswagen herum, und wenn sie abrechnete, waren es immer blaue Scheine und kein Hartgeld wie bei Mary, dem fetten Luder.
    Als Hilde in die Maschen der Justiz kam und zu einer Jugendstrafe auf unbekannte Dauer bis zu vier Jahren verurteilt wurde, saß Pfeifen-Willi geknickt im Zuschauerraum und beweinte still sein hartes Schicksal. Vier Jahre Hungerleben, hatte er gedacht. Und so schnell ist nicht an eine neue Puppe heranzukommen, von dem Format wie Hilde. Die sind alle in festen Händen, und so etwas wächst auch nicht so schnell nach. Es waren trübe Monate, denen er entgegenging, das sah er ein. Und alles nur, weil Hilde Marchinski bei einem Raubüberfall gefaßt wurde, gerade in dem Augenblick, als sie den Nachtwächter fesselte. Pfeifen-Willi gelang es, wie ein Schatten zu entweichen, und im Dunkel einer Haustürnische mußte er zusehen, wie man Hilde abführte, mit auf den Rücken gedrehten Armen, was Willi als ausgesprochen roh empfand.
    Wer Hunger vor Augen hat und von der Charakterstärke eines Pfeifen-Willi ist, der macht in solchen Situationen Pläne, die nicht bloße Gedankenakrobatik sind. Vor allem, als er erfahren hatte, wo sich Hilde Marchinski befand, sah er einen Lichtstreifen am Horizont seines grauen Alltags. Das machte ihn wieder fröhlich und tatkräftig.
    In der Nacht strich er scheinbar ziellos durch die Straßen. Aber das war durchaus nicht der Fall … er suchte jemanden, nachdem er dreimal vergeblich in einer Wohnung gewartet hatte, die verdreckt und stinkig war und in der bestimmt niemand mehr seit einer Woche geschlafen hatte.
    Endlich, nach vier Nächten, fand er sie.
    Sie lehnte an einer Hauswand, sang mit rauher Stimme, rülpste ab und zu, spuckte auf das Pflaster und kratzte sich die Brüste wie ein verflohter Pavian. Als sie Pfeifen-Willi sah, grölte sie laut, winkte mit beiden Armen, aber sie wagte es nicht, sich von der Hauswand abzustoßen. Sie war ihr einziger Halt.
    »Du versoffenes Luder!« sagte Willi als Begrüßung und schob ihre Hand weg, die nach seiner Hose griff. »Du säufst dich durch die Gemeinde, und deine
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